Donnerstag, 21. August 2014

Im Ascheregen (Tribute to Casper)

So, mal wieder eine Premiere! Diesen Text habe ich für das Finale der U20-Poetry-Slam-Meisterschaft im Juni geschrieben, aber dann doch nicht gelesen. Und ins Finale habe ich es leider nicht geschafft, also gibt's jetzt was Neues zu lesen.
Das Lied, das mich zu dem Text inspiriert hat, findet ihr hier.


Im Ascheregen

Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkomm'n, will auf und davon und nie wiederkomm'n.“

Ich stehe da, Streichholz in der Hand und schaue zurück. Ein letztes Mal, sage ich mir.
Das Streichholz zischt, als ich es anreiße, es reicht nach Schwefel und verbranntem Holz.
Ein letzter Blick, dann lasse ich es fallen. Es landet auf dem großen Scheiterhaufen der Lasten, die ich endlich loslassen will, loslassen muss.
Erst ein zartes Flämmchen, dann eine große Feuersbrunst, die sich durch alles frisst, was ich nicht mehr brauche, nicht mehr haben will.
Zuoberst liegen Selbstzweifel, die ölig schwärzlich qualmen, als sie sich entzünden und vor sich hin schwelen. Darunter Ablehnung, schwefelgelbe Flammen, leises Knistern, dann schlagen die Flammen hoch und fressen sich hinunter zu dem Schokoladenpapier, das ein letztes Mal silbrig in der Endzeitsonne glänzt, bevor auch diese Schicht in hellen Flammen auflodert und der beißende Rauch mir in die Nase kriecht.
Hinter mir eine verfallene Stadt, zerfressen von falschen Entscheidungen und Plannugslücken. Die Gebäude wackeln, hier und da fällt ein Stein auf den Boden längst überholter Tatsachen. In die Flammen, die sich unaufhaltsam ausbreiten und alles vernichten, was sich ihnen in den Weg stellt.
Herausgerissene Seiten aus dem Freundebuch, sich langsam wellende Fotos alter Identitäten, bunte Blätter mit krakeliger Kinderschrift darauf. Das Versprechen auf ewige Freundschaft von Menschen, die ich schon ewig nicht mehr gesehen haben, es brennt.
Die Beschreibungen von Dingen, die ich mal mochte und jetzt hasse, es brennt.
Kindliche Unbeschwertheit, sie brennt.
Die Flammen, die all das vernichten, sind bunter, als das, was ihnen zum Opfer fällt, je war. Das verfallene Konstrukt, das ich einst Identität nannte, gespenstisch erhellt vom letzten Aufbäumen, einer gigantischen Supernova. Ich stehe daneben und erlaube mir einen letzten wehmütigen Gedanken, als ich auch den letzten Ballast ins Feuer werfe. Lautlos verbrennt das dünne Zeitungspapier, auf dem mein Name und mein Geburtsdatum steht. Ein letztes Aufleuchten, weg.
Langsam und bedächtig gehe ich durch die Flammen und lasse alles los.
Ich sehe das letzte Mal auf die Stadt, auf den Ort, wo alles seinen Anfang nahm.
Ich lasse das los, was ich bis heute war und spüre, wie die Hitze des Feuers auch das letzte bisschen davon aus mir herausbrennt. Hitze durchzuckt mich, dann ist es seltsam kühl. Ruhig, klar. Als würde mich der Feuersturm um mich herum nicht betreffen. Ich fühle mich wie ein gluckernder Bergbach inmitten eines Waldbrandes, der nichts als Zerstörung hinterlässt.
Die Gebäude um mich herum stürzen ein, sobald ich an ihnen vorbeigegangen bin. Das Feuer brennt heißer und heißer, doch ich laufe nicht schneller. Meine Schritte sind bedächtig, ich weiß, was ich hier tue. Um mich herum steigt beißender Rauch zum Himmel auf, tiefschwarz und schwefelgelb. Die Hitze lässt die Luft erwartungsvoll flimmern, letzte Trugbilder leuchten auf, bevor der Wind sie in den Sonnenuntergang weht. Der Rauch färbt die Silhouette der Sonne am Horizont tiefrot. Ich habe das freie Feld erreicht, die Stadt meiner Vergangenheit brennt in meinem Rücken immer heißer, bis sich alle Hitze auf einen Punkt zu konzentrieren scheint.
Kein Platz mehr für Schatten der Vergangenheit, kein Platz für alles was plötzlich nutzlos erscheint.
Ich gehe weiter, immer weiter und lasse alles zurück.
Und dann, ein allerletzter Blick.
Eine Supernova, die alles verschlingt, ein altes Lastschiff, das im Strom der Gezeiten versinkt.
Und plötzlich ist alles vorbei, zerstört in Sekunden.
Nach der gleißend hellen Explosion Dunkelheit, Schwärze, die nur langsam zu Grau wird. Und um mich herum regnet es Asche, samtweiche, unschuldige Flocken.
Dort, wo früher mal eine Stadt gestanden hat, ist nun nichts mehr. Ihre Überreste verdunkeln die Endzeitsonne, ein beinahe nuklearer Winter. Aber nur beinahe.
Ich nehme das kleine bisschen, was mir noch geblieben ist, und wandere weiter. Mit leichtem Gepäck entlang des Boulevard of Broken Dreams.
Hinter mir lautlos fallende Asche, die Kälte eines apokalyptischen Ortes, an dem ich nie wieder zurückkehren werde.
Und vor mir die rote Sonne, die von einzelnen Aschepartikeln reflektiert wird, in allen Farben des Regenbogens. Und ich tanze im Ascheregen. Alles ist leicht, ich beginne fast zu schweben, während längst Vergangenes in meinem Rücken immer kleiner wird und schließlich verschwimmt.

Denn dies war kein Abschied, denn ich war nie willkomm'n. Bin auf und davon und werd nicht wiederkomm'n. Kein Lebewohl, will euch nicht kenn'n. Die Stadt muss brennen!“

Und sie hat gebrannt.





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