Dienstag, 11. April 2017

"Sternschnuppen" endlich auch auf Hochdeutsch


Hallo ihr Lieben,

es ist ja bereits eine Weile her, dass ich "Sternschnuppen" geschrieben und gepostet habe, aber jetzt noch einmal die hochdeutsche Übersetzung eines Textes, an dessen Aktualität sich leider immer noch nichts geändert hat. Also: tragt Liebe in die Welt, seid offen für Fremdes und zeigt deutlich, was ihr von politischen Ränkespielen, Machtkämpfen und Konflikte um Glauben und Kultur haltet! 




Es ist die Nacht vom 11. auf dem 12. August irgendwo in Norddeutschland.
Eigentlich will ich gerade ins Bett gehen, doch dann fällt mir ein, dass es draußen am Himmel eine Menge Sternschnuppen zu sehen gibt heute Nacht. Also stelle ich mich in meinem Pyjama ans offene Fenster und sehe hinaus. Es ist verdammt kalt draußen, fast schon arktisch, auch wenn es erst August ist. Langsam gewöhnen meine Augen sich an die Dunkelheit und ich kann immer mehr Sterne erkennen. Erst ein paar, dann immer mehr. Irgendwann die ganze Milchstraße. Den großen Wagen, den kleinen Wagen, den Delphin.
Als die erste Sternschnuppe am Firmament auftaucht wünsche ich mir ohne großes Nachdenken Glück im Leben für mich und meine Familie.
Bei der zweiten einen guten Abschluss an der Universität. Erst dann fällt mir auf, dass es sicher Wichtigeres und Nötigeres gibt, als mein persönliches bisschen mehr Glück. Ich lebe in einem sicheren Land, meine Familie und ich sind gesund, wir haben zu essen und ein Dach über dem Kopf. Bei der dritten Sternschnuppe wünsche ich mir genug zu essen und ein Dach über dem Kopf für all die, denen sogar das Wichtigste zum Leben fehlt.

Es ist die Nacht vom 11. auf den 12. August irgendwo auf einer Insel in Griechenland.
Ein junger Mann sitzt an einem kleinen Feuer vor dem Zelt, das er mit vielen anderen Männern teilen muss und in dem es jedem Abend kalt ist und zieht. Zu essen hat er nicht viel, aber er will und kann hier nicht weg. Hat so viel riskiert bei seiner Flucht über das Mittelmeer, in nichts als einem Schlauchboot. Zwei andere Menschen haben es nicht überlebt, sie haben nie schwimmen gelernt. Er hat Glück gehabt. Und doch sitzt er jetzt hier, blickt verzweifelt in den Himmel und sieht die erste Sternschnuppe. Er wünscht sich, seine Familie endlich wieder zu sehen oder zumindest zu wissen, ob sie noch leben drüben in Syrien, wo jeder Tag der letzte sein kann und wo Bomben und Schießereien zur grausigen Normalität geworden sind. Bei der zweiten Sternschnuppe wünscht er sich genug zu essen und endlich einen Ausweg aus dem Zelt mit dem funzligen Feuer davor. Bei der dritten wünscht er sich Frieden und Liebe für alle Menschen.

Es ist die Nacht vom 11. auf dem 12. August irgendwo in Sachsen.
Ein arbeitsloser Mann Mitte 50 torkelt aus der Kneipe nach draußen in die sternenklare Nacht. Er blickt nach oben und sieht zufällig die erste Sternschnuppe. Er wünscht sich seine Arbeit zurück, von der er glaubt, die Ausländer hätten sie ihm weg genommen. Bei der nächsten Sternschnuppe wünscht er sich ein höheres Wahlergebnis für die AfD und mehr Liebe von seiner Frau, die ihn links liegen lässt, seit er arbeitslos ist und jeden Abend betrunken aus der Kneipe heimkommt. Bei der dritten wünscht er sich Frieden, damit die Ausländer in ihrer Heimat bleiben.

Es ist die Nacht vom 11. auf dem 12. August irgendwo in der Türkei.
Ein Journalist sitzt im Dunkeln in seiner kleinen Kammer und lauscht ängstlich auf die Geräusche in den Straßen. Zu oft sind in den letzten Tagen Polizisten durch die Gegend gezogen und viel zu viele von seinen Kollegen sitzen im Gefängnis, weil sie auf freie Meinungsäußerung bestanden haben und sich nicht einschüchtern lassen wollten von einem Mann, der verantwortlich ist für Großdemonstrationen, die aussehen wie Deutschland 1939. Das macht ihm Angst, aber er kann nicht anders, als etwas dagegen zu tun. Wenigsten ein kleines Bisschen. Er sieht es als seine Pflicht, der Welt zu erzählen, was in diesem Land passiert. Es ist nicht mehr sein Land, seine Heimat ist ihm fremd geworden. Er starrt aus dem kleinen Fenster und als er die erste Sternschnuppe sieht, wünscht er sich Freiheit für sein Land und ein Stück weit für sich selbst. Er will seinem Beruf wieder nachgehen können, ohne sich zu verstecken.
Bei der zweiten Sternschnuppe wünscht er sich Gesundheit für seine Familie, die er schon viel zu lange nicht mehr gesehen hat, aus Angst, die Regierung würde sie mit einsperren, wenn sie ihn verhaften sollten.
Bei der dritten Sternschnuppe wünscht er sich Weltfrieden, damit er endlich mal etwas anderes zu berichten hat, als dass schon wieder irgendwo ein Anschlag passiert ist, der Dutzende Menschen mit in den Tod gerissen hat.

Es ist die Nacht vom 11. auf den 12. August irgendwo in einem behelfsmäßigen Krankenhaus in Syrien.
Ein Arzt nimmt erschöpft seinen Mundschutz ab und lehnt sich mit dem Rücken an eine noch halbwegs intakte Wand. Neben ihm der leblose Körper eines Kindes. Er konnte nichts mehr tun. Der kleine Junge und seine Brüder haben zwischen den Trümmern gespielt, als das Viertel bombardiert wurde. Seine Brüder haben ihn in das Krankenhaus gebracht, das diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Zwischen Klappstühlen und provisorischen Vorhängen hat er um das Leben des Jungen gekämpft und doch verloren. Wie schon viel zu oft in den letzten Monaten. Verzweifelt blickt er gen Himmel und sieht die erste Sternschnuppe. Instinktiv wünscht er sich Sicherheit und Gesundheit für sich und seine Familie. Bei der zweiten wünscht er sich weniger Fälle wie diesen in nächster Zeit. Und bei der dritten wünscht er sich Frieden. Endlich, endlich Frieden.

Es ist die Nacht vom 11. auf den 12. August.
Ich schließe das Fenster, denn es ist kalt geworden. Viel zu kalt für August. Ich gehe ins Bett und denke bei mir: „Die Welt kann nicht ganz schlecht sein, wenn wir Hoffnung aus Steinen schöpfen, die in der Atmosphäre verglühen. Trotzdem wäre es höchste Zeit für den Ausbruch des Ersten Weltfriedens.
Frieden, endlich Frieden.

Peace out.

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