Sonntag, 23. April 2017

Imagine (Heimatmeer II)

Hallo ihr Lieben,

endlich hatte ich wieder Zeit und Muse für einen neuen Text. Auch wenn es im Moment noch nicht so aussieht: Der Frühling macht hoffentlich langsam auf den Weg zu uns in den hohen Norden und was passt da wohl besser, als ein weiterer Text über das Meer?
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen :)



Imagine (Heimatmeer II)

Du liegst am Strand, es wird Abend. Die Sonne ist gerade im Begriff, in einem atemberaubenden Farbenspiel hinter dem Horizont zu versinken. Frühling liegt schon in der Luft, unter den allgegenwärtigen Duft nach Meer, Sand und Strandhafer mischt sich ein zaghafter Hauch von Blütenduft.
Du atmest tief ein, in dem Duft des Meeres im Frühling liegt Hoffnung, Zuversicht und süße Sehnsucht nach allem, was das Leben schön und lebenswert macht. Die sanfte Blütennote ist Vorbote langer Sommernächte am Lagerfeuer oder in samtener Dunkelheit unter den Sternen, heißer, träger Hundstage auf einem Handtuch mit Salz auf der Haut und Sonne im Gesicht. Eine Aussicht auf die im Norden kurze Zeit von Freiheit, von unbekümmerter Freude, von Sommerregen auf Asphalt und natürlich vom Meer, das noch greifbarer und unmittelbarer wird.
Du schließt die Augen, das letzte Bisschen Wärme des Tages auf den Lidern. Aus deinen Kopfhörern klingen leise Klaviertöne, die das sanfte Plätschern des Meeres nicht übertönen, sondern wunderbar ergänzen.
Am Firmament glitzern erste Sterne auf und du denkst darüber nach, wie viele Menschen wohl jetzt gerade auch in den Himmel sehen und ihren Gedanken nachhängen, so wie du. Ob sie die gleiche sanfte, fließende Zufriedenheit spüren oder ob sie mit sich und der Welt hadern und verzweifelt Zweisprache mit Himmel und Meer halten, um ihren Platz in dieser verrückten, schnelllebigen Welt zu finden. Du denkst darüber nach, wie viele Menschen schon an dieses Meer gekommen sind, um die Bogenhaftung nicht zu verlieren und um endlich wieder durchatmen zu können.
Das Meer stellt keine Ansprüche, es ist einfach nur da und hört zu.
Man kann Worte auf die glatte Oberfläche fallen lassen, wo sie konzentrische Kreise ziehen, oder sie gegen eine Wand aus Gischt und tosenden Wellen schleudern, wo sie in tausend Teile zerstäubt und vom Wind fort getragen werden. Sorgen zerreibt das Meer wie Steine zu immer feinerem Kies und schließlich zu Sand, der von den Gezeiten in alle Winde zerstreut wird. Dein Herz schlägt ruhig im Takt der Wellen, du spürst die Gezeiten in deinem Blut, denn an diesem Meer bist du zuhause. Es begrüßt dich stets wie ein alten, guten Freund, egal, wie lange du fort warst.
Die Möwen sind mittlerweile verstummt und nehmen dem Strand auch den letzten Rest Betriebsamkeit, die sich hier zuverlässig an jedem Schönwettertag einstellt. Nun ist die Zeit der Nachttiere und der Nachtschwärmer, wie du einer bist. Du liebst es, das Meer für dich allein zu haben und es nur mit dem Mond, den Meerestieren und dem Wind teilen zu müssen. Als du ans Ufer trittst, siehst du im Mondlicht die ersten Medusen dieses Sommers im flachen Wasser schweben. Die Strömung hat sie an diesen Strand getragen.
Fröstelnd kuschelst du dich tiefer in deinen warmen Pullover, um dich vor dem kühlen Atem des Meeres zu schützen, der dich daran erinnert, dass der Sommer noch fern ist.
Nachdenklich schlenderst du am Spülsaum entlang und spürst der unerklärlichen Vorfreude nach, die dich plötzlich durchrieselt beim Gedanken an die langen Sommerwochen, die bald da sein werden. Tagsüber wirst du deinen besten Freund das Meer teilen müssen, doch die lauen Sommernächte werden dir gehören, bis du im Herbst auch die Tage zurückerobern kannst. Doch das hat noch Zeit. Vorerst ist es Zeit, endlich wieder zu leben und das zu tun, was du wirklich tun möchtest. Es ist Zeit für Freundschaft, für Freude und für Zeit mit den Menschen, die dir wichtig sind. Alles wird gut sein, denn es geht immer weiter, denn alles fließt.
Cuncta fluunt.

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