Dienstag, 21. Februar 2017

Das Jahr des Wolfes


Hallo ihr Lieben,
die Uni gönnt mir eine sechswöchige Pause und ich habe die Gelegenheit genutzt, mich sofort in eine neue Idee zu stürzen, die überraschend schnell innerhalb von zwei Tagen fertig geworden ist. Da der Text ausnahmsweise für eine bestimmte Veranstaltung gedacht ist, werde ich hier vorerst nur einen kleinen Vorgeschmack veröffentlichen, die ganze Geschichte feiert am 6. August auf einer Lesung im Rahmen des Naturgenussfestivals 2017 Premiere ;)

Aber nun erstmal viel Vergnügen mit den ersten Zeilen, die ein Thema behandeln, an das ich mich bis vor ein paar Tagen noch nicht herangewagt habe: Wölfe.

EDIT: 
Nachdem der Text auf der Lesung gut angekommen ist, gibt es ihn hier jetzt ganz zu lesen. Die plattdeutsche Version werde ich zunächst nicht veröffentlichen, ich habe da in vielleicht nicht mehr ferner Zukunft eventuell noch Pläne :)



Das Jahr des Wolfes

Frühling

Es ist grün, überall grün und fruchtbar und duftend. Nach Wald, nach Weite, nach dem Erwachen der Natur nach dem langen und strengen Kältewinter. Der Frostriese lockert seinen Griff und entlässt die Urwälder Tschechiens in eine wahre Explosion von Farben, Düften und Geräuschen. Die Höhenzüge atmen auf, das letzte Eis knirscht und knackt in den Bächen, die durch das Schmelzwasser zu reißenden Strömen geworden sind und auch die allerletzten Spuren des Winters mit sich talwärts spülen.
Auch er spürt den Frühling. Die Sonne wärmt sein Fell und die Düfte, die unter Eis und Schnee zum Vorschein kommen, kitzeln seine Nase. Er steht erhaben auf einer Anhöhe und blickt in Richtung Horizont. Überall ist grün, überall ist Weite, überall ist Frühling. Bald wird der Nachwuchs geboren werden, das spüren er und seine Gefährtin. Es ist soweit, es ist Zeit. Die Natur weiß immer, wann es Zeit ist.
* * *
Versonnen sitzt er in der vorsichtig wärmenden Frühlingssonne und hält sein Kind in den Armen. Seine Frau neben ihm, sie strahlt. Es ist Frühling in der Lausitz, in ihrem kleinen Dorf am Rande der riesigen Wunde, die der Tagebau ins Land gebissen hat, um der Erde die Braunkohle zu entreißen.
Seine kleine Tochter strahlt ihn aus der warmen Decke heraus an, in die sie gewickelt ist. Auch wenn die Sonne warm scheint, die Kühle lässt sich noch nicht gänzlich vertreiben. Immer noch lächelnd gehen sie zurück ins Haus, seine Frau und seine kleine Tochter sicher in seinem Arm. Familie, endlich.
So lange haben sie sich Kinder gewünscht und nun endlich ist sie da. Seine Tochter, sein kleines Wunder. Die Natur hat sich Zeit gelassen und er wird alles in seiner Macht stehende tun, um ihr kleines Leben zu beschützen. Alles.
* * *
Sommer
Der Wald auf den Höhenzügen strahlt in einem tiefen Grün und hält die Hitze vom Waldboden fern. Es ist angenehm dämmrig und die hohen Bäume werfen ihre Schatten auf die Welpen, die vor dem Bau spielen. Vier Stück sind es, tapsig, aber voller Neugier und Lebensdurst. Sein Beschützerinstinkt ist stark in diesen Tagen. Er und seine Gefährtin sorgen für ihren Nachwuchs, füttern und beschützen sie. Im Wald gibt es genug zu fressen, um ihn und seine kleine Familie zu ernähren. Der tiefe Urwald ist sein Zuhause, der weiche Boden unter seinen Pfoten, die vertrauten Gerüche. Modrig, nach totem Holz, das bereits in Verwesung begriffen ist, streng nach Wild, süß-säuerlich nach den reifen Beeren, saftig nach Gras und klar und eine Spur metallisch nach dem Wasser des Gebirgsbachs, der sprudelnd und gluckernd ganz in der Nähe über die Felsen fließt.
Die Welpen tollen herum und halten seine Gefährtin stets beschäftigt. Er muss auf die Jagd gehen.
Der Wald hält genug Wild bereit, er muss es nur finden. Ein Leichtes, seine untrügliche Spürnase und sein Instinkt werden ihm dabei helfen. Und schon hat er eine Fährte aufgenommen und folgt ihr, immer seiner Nase nach.
* * *
Die Apfelbäume in seinem Garten tragen bereits erste Früchte, die einen intensiven Duft verströmen. Es ist heiß, unerbittlich heiß und er ist froh, als er zurück unter den Sonnenschirm schlüpfen kann, unter dem bereits seine Frau und seine kleine Tochter auf einer Liege ein kleines Nickerchen machen. Zärtlich betrachtet er sie und streicht seiner Kleinen eine Strähne des luftigen Haares aus der Stirn. Dunkel, wie das ihrer Mutter. Er setzt sich in einen Stuhl und betrachtet voller Stolz seine Familie.
Bei dem Gedanken, ihnen könnte etwas geschehen, wird ihm flau im Magen und er schiebt den Gedanken rasch zur Seite. Dazu wird es nicht kommen, er wird sie beschützen, denkt er und nickt ebenfalls ein.
* * *
Auf seiner Jagd folgt er ganz dem Geruch des Kaninchens. Er riecht sie überdeutlich. Zielsicher tragen ihn seine Pfoten über den weichen Waldboden, über Laubteppiche und umgestürzte Bäume. Er ist sich sicher, seine Beute bald erreicht zu haben, da erreicht ein anderer, bekannter Geruch seine empfindsame Nase und überdeckt alles. Rauch.
Er macht kehrt, er muss seine Familie retten. Seine Gefährtin, ihren Nachwuchs. Er ist schon fast an der Höhle angekommen, als der Rauch dichter und dichter wird und in der Nase beißt. Und dann ist sie da, die Wand aus Feuer. Wie ein Drache faucht sie und spuckt Asche und Glut. Unerträgliche Hitze dringt durch sein Fell und plötzlich ist der Fluchtinstinkt stärker als das Bestreben, zu seiner Familie zurückzukehren. Er macht kehrt und flieht. Die Feuerwand ist dicht hinter ihm und verschlingt alles, was sich ihr in den Weg stellt. Er rennt und rennt und rennt, ist purer Instinkt. Überleben, nur überleben.
Die Abenddämmerung senkt sich bereits über das Land, als er erschöpft innehält und an einem Gebirgsbach seinen Durst stillt. Sein Fell ist teilweise versengt und der beißende Geruch nach verbranntem Haar hat sich in seiner Nase festgesetzt. Die Feuerwand wurde vom Wind in eine andere Richtung gelenkt, nur so konnte er entkommen. Doch die Gefährtin und ihre Jungen haben es nicht geschafft, das spürt er tief in seinem Inneren. Er ist allein, ein einsamer Wanderer. Er bricht auf, immer der Nase nach.
Viele Tage ist er unterwegs, streift ruhelos durch die dichten Wälder. Jagt, frisst, schläft. Auch in anderen Teilen des scheinbar endlosen Waldes hat es Feuer gegeben, oft wandert er über kahle, verkohlte Flächen, auf denen nur noch vereinzelt Bäume wie stumme Mahnmale ihre schwarzen Stämme gen Himmel strecken. Verbrannte Erde. Er zieht weiter, immer weiter. Die Landschaft verändert sich. Ist er am Anfang noch durch endlose Wälder gezogen, ist das Land jetzt zunehmend flacher und der Wald lichtet sich und immer öfter kommt er an Seen vorbei, deren Wasser anders schmeckt als das Wasser der Bäche in seiner Heimat. Auch andere Gerüche gibt es hier. Einmal hat er sogar die Witterung eines anderen Wolfes aufgenommen, begegnet ist er jedoch keinem Artgenossen. Und ein weiterer Geruch ist hier allgegenwärtig: Menschen.
* * *
Heute ist es ausnahmsweise nicht so heiß, dass an einen Aufenthalt im Freien nicht zu denken ist. Er und seine Frau beschließen, einen Spaziergang zu machen. Seine Frau trägt ihre Tochter in einem Tragetuch vor ihrem Bauch. Die Kleine gluckst vergnügt, sie mag es, getragen zu werden. Und sie mag den Wald und die Kühle darin. Und die Tannenzapfen, die ihr Vater ihr gibt, damit sie damit spielen kann. Und wie er lacht, wenn sie lacht.
Der Wald empfängt sie wie eine angenehm kühle Umarmung. Um sie herum zwitschern Vögel und im Unterholz ist das Trippeln und Rascheln kleiner Waldbewohner zu hören. Vielleicht haben sie ja heute Glück und sehen ein paar Rehe oder ein Eichhörnchen. Die kleinen, puscheligen Tiere haben es seiner Tochter angetan, auch wenn sie jedes Mal traurig ist, wenn sie sie mit ihrem glucksenden Lachen vertreibt. Er hält die Hand seiner Frau und ist glücklich. So schlendern sie dahin und genießen den Spaziergang in dem bisschen Natur, was hier noch geblieben ist, nachdem die nimmermüden Schaufelradbagger sich Meter um Meter in den Boden gefressen haben, Tag und Nacht. Wie weit sie gegangen sind merkt er erst, als der Wald sich plötzlich lichtet und sie an einer steilen Abbruchkante stehen. Unten ist das Blau des Sees zu sehen, der sich langsam aber sicher aus der alten Tagebaugrube bildet. Er fasst die Hand seiner Frau fester, um sie zurückzuhalten, als sie näher an den Abgrund gehen will. Sie macht sich lachend los und sagt, sie wäre schon vorsichtig. Strahlend steht sie am Abgrund und blickt hinaus in die Weite der Landschaft, die beinahe grotesk anmutet. Dann raschelt es plötzlich neben ihr im Gebüsch. Grau-braunes Fell, ein kräftiger Körper, helle, kluge Augen. Ein Wolf.
Sie zuckt zusammen und macht unwillkürlich einen Schritt zurück und tritt ins Leere. Ein Schrei, ein Platschen. Stille. Dann ein weiteres Rascheln, der Wolf verschwindet. Er kann sich einen Moment lang nicht bewegen, doch dann geht alles ganz schnell. Er stürzt an den Abgrund, sieht nach unten. Ein Schrei. Dann Stille.
* * *
Spätsommer
Der Wolf streift ruhelos durch den Wald, immer wieder nimmt der die Witterung eines anderen Rudels auf, dem er nicht begegnen möchte. Er jagt, wenn er Hunger hat und hält sich sonst versteckt in dem riesigen Gebiet, in dem so oft plötzlich so viel Erde zu fehlen scheint. Die weiten Flächen behagen ihm nicht, ist er doch die dichten Wälder und das dort herrschende Zwielicht gewöhnt. Der Wald, der ihm hier Schutz geben kann, ist kleiner und nicht so dunkel wie in seiner Heimat. Doch er passt sich an. Ihm bleibt nichts anderes übrig. Oft hat er den Geruch nach Menschen in der Nase. Er hält sich fern von ihnen. Zu groß war der Schreck bei der letzten Begegnung. Die Schreie klingen noch in seinen empfindlichen Ohren nach. Die Laute des Menschen, seiner Gefährtin und die ihres Jungens. Er ist aus dem Gebüsch getreten und war vor Schreck einen Moment lang wie gelähmt. Die Gefährtin des Menschen war plötzlich verschwunden, nur die Schreie blieben. Und noch Tage danach der Geruch nach Tod. Seitdem hält er sich fern von der Stelle, an der diese unheimliche Begegnung stattgefunden hat. Streift weiter durch die Gegend, die langsam aber sicher zu seinem Zuhause wird.
* * *
Auf dem Waldfriedhof ist es beinahe gespenstisch still, als der lange Zug der Trauernden den zwei Särgen zu zwei frisch ausgehobenen Gräbern folgt. Der Pfarrer voraus, er folgt ihm willenlos. Seine Welt liegt ihm in tausend Scherben zu Füßen und er vermag sie nicht wieder zusammen zu setzen. Möchte es eigentlich auch gar nicht. Er begrüßt die Taubheit mit offenen Armen und lässt sich hineinfallen. Möchte nichts fühlen, nicht nachdenken.
Der Pfarrer spricht ein paar letzte Worte, dann werden die Särge in die kühle Erde hinuntergelassen. Mechanisch tritt er vor und lässt jeweils eine Schaufel Sand und eine Rose in die Gräber fallen. Seine Frau, seine Tochter, sein Leben. Die Taubheit ist noch da, aber sie beginnt zu bröckeln und er spürt, dass er allein sein muss, wenn sie bricht. Wortlos tritt er zur Seite und schüttelt mechanisch die Hände aller, die ihm ihr Beileid aussprechen. Dann ist es irgendwann vorbei, er steht allein vor den Gräbern, nur der Pfarrer wartet pietätvoll in einigem Abstand. Ein letzter Blick hinab auf die Särge und die einsamen weißen Rosen, dann geht er. Und ringsumher im Wasser blühen Rosen. Die roten der Liebsten, die weißen den Toten, denkt er bei sich.
Sein Weg führt ihn in die Dorfschenke, wo er sich wortlos setzt und Schnaps bestellt. Es dauert nicht lange bis sich ein angenehmer wattiger Nebel in seinem Kopf ausbreitet, der das Knirschen und Knacken der Taubheit verschluckt. Zumindest fürs Erste.
In dieser Nacht sind seine Träumer düster und erfüllt von Schmerz und Blut. Er sieht den Wolf vor sich, überlebensgroß, mächtig und grausam. Seine hellen Augen sehen ihn eindringlich an, fast menschlich. Sie bohren sich in die Taubheit, schlagen Löcher in die Fassade, die zu großen Rissen werden, bis alles, was sich hinter der Mauer aufgestaut hat, mit Macht Bahn bricht. Er erwacht schweißgebadet von seinem eigenen markerschütternden Schrei und sitzt aufrecht im Bett. Dann kommen die Tränen, begleitet von tiefschwarzer Trauer und loderndem Hass.
* * *
Herbst
Der Wald ist bunt geworden in der Lausitz. Der Wolf spürt den nahenden Winter in seinen Knochen. Der Geruch des Herbstes ist ihm vertraut, erinnert ihn an seine alte Heimat. Es regnet viel in dieser Zeit, oft tagelang. Sein dickes Fell wird schwer vom Wasser und der Regen läuft ihm in die Augen, wenn er auf die Jagd geht. Mit dem Regen sind die Menschen gekommen, mit Gewehren. Oft hört er die Schüsse von weitem hallen, sie schmerzen in seinen Ohren und vertreiben seine Beute. Ab und zu zieht der Geruch von Blut in seine Nase, die Menschen jagen wie er. Oft gerät er in dieser Zeit dicht an die Dörfer, wenn er vor den lauten Schüssen flieht. Es riecht nach Fressbarem dort, wo die Menschenrudel wohnen. Ab und zu kommt er nachts zurück und wühlt in den Abfällen nach Nahrung, doch die Angst vor den Menschen hält ihn meist fern. Die Welt ist kleiner geworden für ihn, in den Dörfern sind zu viele Menschen und plötzlich sind sie auch in den Wäldern der Wölfe mit ihren Waffen.
* * *
Seine Gedanken sind dunkel wie die kürzer werdenden Regentage dieses Herbstes. Das Haus ist furchtbar leer und er vermeidet es, länger als zum Schlafen hier zu sein. Das Kinderzimmer ist unverändert und auch die andere Seite des Doppelbetts ist bezogen und die Decke zurückgeschlagen, wie seine Frau sie zurückgelassen hat mit ihrem ruhelosen Geist, stets voller Tatendrang. Er bringt es nicht übers Herz, die Sachen wegzugeben. Seine Wut auf die Wölfe in den Wäldern lodert in ihm, hält ihn aufrecht, gemeinsam mit dem Alkohol, der fast ununterbrochen durch seine Blutbahnen fließt. Ihm gefällt das Gefühl der Watte im Kopf. Es bringt ihm zwar die Taubheit nicht zurück, aber es lässt ihn vergessen, wenigstens für eine Weile. Viele Männer im Dorf teilen seine Wut, ihnen waren die Wölfe schon längst ein Dorn im Auge. Sie stehen unter Verdacht, Vieh zu reißen und so den Bauern bares Geld zu stehlen. Es ist die urtümliche Angst des Menschen vor dem Raubtier Wolf, die wieder einmal hohe Wellen schlägt im Dorf. Doch er sieht es nicht. Will vergessen und braucht einen Schuldigen. Denn irgendwer muss doch Schuld sein am Tod seiner kleinen Familie! Jemand muss dafür verantwortlich sein und dafür bezahlen. Sein Zorn ist blind und frisst alles, was sich ihm in den Weg stellt. So zieht er jeden Tag in den Wald, schießen darf er die Wölfe nicht, doch erschrecken und vertreiben ist nicht verboten. Mit diesen grimmigen Gedanken legt er sich schlafen und sieht einer weiteren Nacht voller düsterer Träume entgegen.
* * *
Winter
Im Wald knistert der erste Frost als der Wolf die Witterung eines Artgenossen aufnimmt. Eine Wölfin, allein wie es scheint. Ein lang vergessener Instinkt erwacht in ihm. Der, sich fortzupflanzen und eine neue Familie zu gründen. Er macht sich auf den Weg, durch die Wälder und über die kahlen Flächen der alten Tagebaugruben. Einige Tage folgt er der Spur, verliert sie ab und zu, doch er findet sie immer wieder. Die Blätter rings um ihn fallen langsam zu Boden und bedecken den Waldboden mit einer knisternden, weichen Schicht. Die Luft riecht nach klarem Frost und die Sterne leuchten nachts hell über den Wäldern. Es ist ein schöner, sonniger Tag, an dem er ihr begegnet.
Es dämmert bereits, als er sie endlich findet. Eine junge Wölfin, allein wie er. Ihr Fell ist heller als seines, ihr Körper stark und geschmeidig. Kritisch beäugt sie ihn, sie umkreisen und beschnuppern sich lange. Er nimmt ihren Geruch in sich auf, verinnerlicht ihn. Dann scheint sie sich entschieden zu haben. Sanft stupst sie ihn mit der Schnauze an. Er erwidert die Geste. Das bedeutet das Ende der einsamen Wanderschaft für ihn, er hat wieder eine Gefährtin. Gemeinsam traben sie in die Nacht, Schulter an Schulter, begleitet vom durchdringenden Ruf der Nachtvögel. Von nun an werden sie gemeinsam durch die Lausitz ziehen und im nächsten Frühjahr werden sie Junge haben, die vor einer Höhle auf einer Anhöhe herumtollen und dieses seltsame Land ihr Zuhause nennen werden. Es ist nichts verloren, die Wölfe sind stark.
* * *
Er taumelt aus seinem Haus in den Garten, die Flasche in der Hand. Heute ist ein besonders schlechter Tag unter schlechten Tagen. Seine Träume waren schwarz wie immer seit dem Sommer und wieder ist der überlebensgroße Wolf darin erschienen. Auf der Erde liegt eine dicke Schicht brilliantweißen Neuschnees, die ihn blendet. Die Tannen im nahen Wald sehen aus wie mit Zuckerguss verziert, doch er hat kein Auge dafür. Schmerzvoll denkt er daran, wie fasziniert seine Tochter von der weißen Pracht wäre. Doch sie wird nie Schnee sehen in ihrem ewigem Bett unter der nunmehr gefrorenen Erde auf dem Friedhof am anderen Ende des Dorfes. Sie hätte den Winter geliebt, so wie ihre Mutter. Wobei diese eigentlich jede Jahreszeit geliebt hat. Das zarte Grün des Frühlings, die Farbe des verdorrten Grases im Sommer, die Farbenpracht des Herbstes und eben das Weiß des Schneewinters.
Mit einem kehligen Schrei sinkt er auf die Knie, mitten in den kalten Schnee. Er schlägt die Hände vor‘s Gesicht und schluchzt. Wieso musste das passieren? Wieso musste der Wolf in die Lausitz zurückkehren? Wieso gerade er, wieso gerade seine Liebsten? Wieso, wieso, wieso?
Seine Schreie mischen sich mit klagendem Wolfsgeheul. Fern, aber da. Geschlagen sinkt er nach vorn.
Der Wolf ist stark.
ENDE




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