Hallo liebe Leser,
heute mal keine Ode an Norddeutschland, sondern an das sonnige Spanien. Die Eindrücke, die ich letzten September im wunderschönen Barcelona sammeln durfte, haben sich endlich in einem Text verarbeiten lassen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich selbst spreche kein Spanisch, beim Titel und dem einen spanischen Satz hatte ich professionelle Hilfe, vielen Dank dafür ;)
¡Derriba
los muros!
Es
ist schummrig in der kleinen Schenke in der engen Seitengasse.
Rhythmische Musik dringt leise aus den alten Lautsprechern, begleitet
von gelegentlichem Knistern und Knacken.
Sie
sitzt auf einem der Barhocker, ihr rotes Kleid bedeckt ihre
gleichmäßig gebräunten Beine, der Saum bewegt sich hin und wieder
leicht, wenn ein warmer Wind etwas von der Hitze vor der Tür herein
weht. Es riecht nach altem, oft gebohnerten Holz, nach dem schweren
Rotwein in ihrem Glas und nach dem Staub aus besseren Zeiten. An den
Wänden hängen Sepiafotografien, ebenfalls stumme Zeugen eines
früheren Lebens. Der Wirt ist nirgends zu sehen. Nur sie ist im
Raum, allein mit ihrem Wein, dessen Geschmack ihr auf der Zunge
klebt, dem Staub und der Hitze.
*
* *
Es
herrscht eine wahre Gluthitze auf dem Marktplatz. Er trinkt gierig
aus dem Brunnen, fährt sich mit der Hand durch das staubige Haar und
lässt den Blick schweifen, bis er eine schmale Seitengasse entdeckt,
die etwas Schatten verspricht. Erschöpft tritt er in das Halbdunkel
der Gasse und genießt die Kühle. Nun ist sein Entdeckergeist
geweckt und er streift durch die schmale Straße. Die Häuser gehören
zu den ältesten der Stadt und stehen eng beieinander.
Ganz
am Ende sieht er eine Tür offen stehen. Musik klingt leise und er
kommt interessiert näher und schaut durch die Tür.
Sepiafotografien, Staub, ein alter Holzboden und ein fast leerer Raum
empfangen ihn. Auf einem Barhocker sitzt eine Frau in einem roten
Kleid , das genau die gleiche Farbe zu haben scheint wie der Wein,
der vor ihr steht. Er sieht sie im Profil, denn ihr Blick ruht
scheinbar ruhig auf einem undefinierten Punkt der gekalkten Wand.
*
* *
Sie
spürt seine Präsenz ohne sich umdrehen zu müssen. Er strahlt eine
jungenhafte Leichtigkeit aus, aber etwas in ihr sagt ihr, dass er
eine alte Seele hat, die ihr gefährlich werden könnte. Scheinbar
unbeteiligt dreht sie sich um, das Glas Rotwein nonchalant in der
Hand. In der Tür steht ein Mann in den Zwanzigern, seine Schuhe sind
staubig, genau wie sein Haar. Doch das Gesicht ist sauber und ihr
leuchten zwei bezaubernd graue Augen entgegen. Er fährt sich mit der
Hand durchs Haar und fixiert sie. Nachdenklich, als könne er mit
seinen verfluchten Augen direkt in ihr Herz, ihre Seele und ihre
Vergangenheit sehen. Sie steht auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Das Weinglas stellt sie auf der Theke ab. Sie bewegt sich katzenhaft
auf ihren schwarzen Schuhen mit den Riemen um die Knöchel.
Tänzerinnenschuhe.
*
* *
Er ist wie gebannt, als sie
ihn mit ihren überraschend blauen Augen im braun gebrannten Gesicht
fixiert, während sie auf ihn zugeht. Ihre Schritte sind sicher; sie
weiß, wohin sie ihre Füße setzen muss. Der fließende Stoff ihres
Kleides schwingt im Rhythmus ihrer Schritte hin und her und
umschmeichelt ihre Beine. Die Musik aus den knisternden Lautsprechern
gibt ein elektrisierend langsames Tempo vor. Er lässt seine Tasche
fallen, fährt sich noch einmal durchs Haar und geht dann auf sie zu;
bewegt sich im Takt mit der eindringlichen Musik. In ihrem Gesicht
ist keine Regung zu erkennen.
*
* *
Er
geht auf sie zu, langsam, hält sich an die Musik. Sieht sie nur an
mit seinen tiefen Augen. Die Musik ist hypnotisierend, sie spürt sie
im ganzen Körper und lässt sich hineinfallen. Ihre Füße bewegen
sich wie von selbst. Als er sie fast erreicht hat, macht sie einen
Schritt zurück. Er stockt kurz, kommt dann jedoch weiter auf sie zu.
Sie weicht nicht weiter zurück, sondern kommt ihm entgegen. Stolz
und unwillig, weiter vor ihm zurückzuweichen. In seinem Gesicht
blitzt ein kleines Lächeln auf, als er sich ihren Bewegungen
anpasst. Doch gleich darauf wird sein schönes, ebenmäßiges Gesicht
wieder ernst und er bewegt sich um sie herum wie eine Raubkatze.
Seine grauen Augen fixieren sie, während er sie umkreist und ihr
dabei näher kommt. So nah, dass sie erkennen kann, dass seine Lippen
von Sonne und dem Staub der Straße trocken und rissig sind. Auf
seiner Stirn glänzt Schweiß und seine Haut ist zu hell, als dass er
von hier stammen könnte. Er steckt seine Hand nach ihr aus, doch sie
weicht wie zufällig aus.
*
* *
Er
kann die Mauer, die sie umgibt, förmlich berühren. Sie macht ihn
neugierig mit ihren klaren blauen Augen und dem langen dunklen Haar,
das ihr in vollen Wellen den Rücken hinab fällt. Ihre Augen zeigen
Stärke, Mut, Selbstsicherheit aber auch eine große Portion Vorsicht
und Zurückweisung. Sein Blick fällt auf ihre vollen Lippen, die im
gleichen Rotton wie ihr Kleid geschminkt sind. Er sieht die
Leidenschaft in ihren Zügen, die Fähigkeit, für etwas zu brennen.
Nochmals
versucht er, sich ihr zu nähern. Ein Hauch ihres Duftes weht zu ihm
herüber; er kann den Wein in ihrem Atem riechen und etwas, das ihn
an warme Sommerabende denken lässt. Diesmal weicht sie nicht vor ihm
zurück, sondern lässt ihn an sich herankommen.
*
* *
Sie
kann den Blick nicht von seinen grauen Augen abwenden, die auf ihr
ruhen. Stolz liegt in seinem Blick. Lebenserfahrung. Langsam lässt
sie ihn näher an sich heran. Er streckt die Hand nach ihrer aus,
ergreift sie, bevor sie sie wegziehen kann und zieht sie wie zufällig
mit der nächsten Drehung in seine Arme. Sie spürt seine Hände auf
ihrem Körper, als sie zusammen mit den rhythmischen Klängen
verschmelzen. Seine Handflächen sind warm, schwielig und trotz der
Hitze angenehm trocken. Seine Wärme fließt durch den dünnen Stoff
ihres Kleides von seinen Händen in ihren Körper und trotz der Hitze
fröstelt sie leicht. Er spürt es und sein Griff verstärkt sich
unwillkürlich etwas. Sie schlägt die Augen nieder und bricht den
Blickkontakt, bevor sie sich im unendlichen Grau verliert. Kurz
zögert sie, doch als er sie sanft näher zieht, gibt sie nach und
lehnt den Kopf gegen seine Schulter. Der Stoff seines Hemdes duftet
frisch mit einer leichten Note von Schweiß. Seine Hand legt sich
zwischen ihre Schulterblätter und hält sie. Warm, sicher. Sie spürt
den urtümlichen Rhythmus seines Atems. Tröstlich. Ihre Abwehr ist
verschwunden, sie bewegen sich wie ein Geschöpf, geschaffen aus
Tanz, Musik und zwei Seelen, die sich zufällig begegnet sind an
diesem glutheißen Nachmittag, in dieser Bar. Völlig synchron
bewegen sie sich, instinktiv. Er neigt seinen Kopf, berührt mit den
Lippen sanft ihr Haar.
„Detrás
de los muros eres una maravilla“, flüstert er in ihr Ohr. Dann
entlässt er sie aus seinen Armen, streicht ihr nochmal andächtig
über die Wange und lässt die Hand dann sinken. Mit einem letzten
wehmütigen Blick aus den grauen Augen dreht er sich um und tritt
hinaus in die nachmittägliche Hitze.
Detrás
de los muros eres una maravilla, hinter den Mauern bist du
wunderschön.
-
Final -
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