Donnerstag, 2. Februar 2017

Erinnerungen an Spanien


Hallo liebe Leser,
heute mal keine Ode an Norddeutschland, sondern an das sonnige Spanien. Die Eindrücke, die ich letzten September im wunderschönen Barcelona sammeln durfte, haben sich endlich in einem Text verarbeiten lassen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich selbst spreche kein Spanisch, beim Titel und dem einen spanischen Satz hatte ich professionelle Hilfe, vielen Dank dafür ;)




¡Derriba los muros!

Es ist schummrig in der kleinen Schenke in der engen Seitengasse. Rhythmische Musik dringt leise aus den alten Lautsprechern, begleitet von gelegentlichem Knistern und Knacken.
Sie sitzt auf einem der Barhocker, ihr rotes Kleid bedeckt ihre gleichmäßig gebräunten Beine, der Saum bewegt sich hin und wieder leicht, wenn ein warmer Wind etwas von der Hitze vor der Tür herein weht. Es riecht nach altem, oft gebohnerten Holz, nach dem schweren Rotwein in ihrem Glas und nach dem Staub aus besseren Zeiten. An den Wänden hängen Sepiafotografien, ebenfalls stumme Zeugen eines früheren Lebens. Der Wirt ist nirgends zu sehen. Nur sie ist im Raum, allein mit ihrem Wein, dessen Geschmack ihr auf der Zunge klebt, dem Staub und der Hitze.
* * *
Es herrscht eine wahre Gluthitze auf dem Marktplatz. Er trinkt gierig aus dem Brunnen, fährt sich mit der Hand durch das staubige Haar und lässt den Blick schweifen, bis er eine schmale Seitengasse entdeckt, die etwas Schatten verspricht. Erschöpft tritt er in das Halbdunkel der Gasse und genießt die Kühle. Nun ist sein Entdeckergeist geweckt und er streift durch die schmale Straße. Die Häuser gehören zu den ältesten der Stadt und stehen eng beieinander.
Ganz am Ende sieht er eine Tür offen stehen. Musik klingt leise und er kommt interessiert näher und schaut durch die Tür. Sepiafotografien, Staub, ein alter Holzboden und ein fast leerer Raum empfangen ihn. Auf einem Barhocker sitzt eine Frau in einem roten Kleid , das genau die gleiche Farbe zu haben scheint wie der Wein, der vor ihr steht. Er sieht sie im Profil, denn ihr Blick ruht scheinbar ruhig auf einem undefinierten Punkt der gekalkten Wand.
* * *
Sie spürt seine Präsenz ohne sich umdrehen zu müssen. Er strahlt eine jungenhafte Leichtigkeit aus, aber etwas in ihr sagt ihr, dass er eine alte Seele hat, die ihr gefährlich werden könnte. Scheinbar unbeteiligt dreht sie sich um, das Glas Rotwein nonchalant in der Hand. In der Tür steht ein Mann in den Zwanzigern, seine Schuhe sind staubig, genau wie sein Haar. Doch das Gesicht ist sauber und ihr leuchten zwei bezaubernd graue Augen entgegen. Er fährt sich mit der Hand durchs Haar und fixiert sie. Nachdenklich, als könne er mit seinen verfluchten Augen direkt in ihr Herz, ihre Seele und ihre Vergangenheit sehen. Sie steht auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Das Weinglas stellt sie auf der Theke ab. Sie bewegt sich katzenhaft auf ihren schwarzen Schuhen mit den Riemen um die Knöchel. Tänzerinnenschuhe.
* * *
Er ist wie gebannt, als sie ihn mit ihren überraschend blauen Augen im braun gebrannten Gesicht fixiert, während sie auf ihn zugeht. Ihre Schritte sind sicher; sie weiß, wohin sie ihre Füße setzen muss. Der fließende Stoff ihres Kleides schwingt im Rhythmus ihrer Schritte hin und her und umschmeichelt ihre Beine. Die Musik aus den knisternden Lautsprechern gibt ein elektrisierend langsames Tempo vor. Er lässt seine Tasche fallen, fährt sich noch einmal durchs Haar und geht dann auf sie zu; bewegt sich im Takt mit der eindringlichen Musik. In ihrem Gesicht ist keine Regung zu erkennen.
* * *
Er geht auf sie zu, langsam, hält sich an die Musik. Sieht sie nur an mit seinen tiefen Augen. Die Musik ist hypnotisierend, sie spürt sie im ganzen Körper und lässt sich hineinfallen. Ihre Füße bewegen sich wie von selbst. Als er sie fast erreicht hat, macht sie einen Schritt zurück. Er stockt kurz, kommt dann jedoch weiter auf sie zu. Sie weicht nicht weiter zurück, sondern kommt ihm entgegen. Stolz und unwillig, weiter vor ihm zurückzuweichen. In seinem Gesicht blitzt ein kleines Lächeln auf, als er sich ihren Bewegungen anpasst. Doch gleich darauf wird sein schönes, ebenmäßiges Gesicht wieder ernst und er bewegt sich um sie herum wie eine Raubkatze. Seine grauen Augen fixieren sie, während er sie umkreist und ihr dabei näher kommt. So nah, dass sie erkennen kann, dass seine Lippen von Sonne und dem Staub der Straße trocken und rissig sind. Auf seiner Stirn glänzt Schweiß und seine Haut ist zu hell, als dass er von hier stammen könnte. Er steckt seine Hand nach ihr aus, doch sie weicht wie zufällig aus.
* * *
Er kann die Mauer, die sie umgibt, förmlich berühren. Sie macht ihn neugierig mit ihren klaren blauen Augen und dem langen dunklen Haar, das ihr in vollen Wellen den Rücken hinab fällt. Ihre Augen zeigen Stärke, Mut, Selbstsicherheit aber auch eine große Portion Vorsicht und Zurückweisung. Sein Blick fällt auf ihre vollen Lippen, die im gleichen Rotton wie ihr Kleid geschminkt sind. Er sieht die Leidenschaft in ihren Zügen, die Fähigkeit, für etwas zu brennen.
Nochmals versucht er, sich ihr zu nähern. Ein Hauch ihres Duftes weht zu ihm herüber; er kann den Wein in ihrem Atem riechen und etwas, das ihn an warme Sommerabende denken lässt. Diesmal weicht sie nicht vor ihm zurück, sondern lässt ihn an sich herankommen.
* * *
Sie kann den Blick nicht von seinen grauen Augen abwenden, die auf ihr ruhen. Stolz liegt in seinem Blick. Lebenserfahrung. Langsam lässt sie ihn näher an sich heran. Er streckt die Hand nach ihrer aus, ergreift sie, bevor sie sie wegziehen kann und zieht sie wie zufällig mit der nächsten Drehung in seine Arme. Sie spürt seine Hände auf ihrem Körper, als sie zusammen mit den rhythmischen Klängen verschmelzen. Seine Handflächen sind warm, schwielig und trotz der Hitze angenehm trocken. Seine Wärme fließt durch den dünnen Stoff ihres Kleides von seinen Händen in ihren Körper und trotz der Hitze fröstelt sie leicht. Er spürt es und sein Griff verstärkt sich unwillkürlich etwas. Sie schlägt die Augen nieder und bricht den Blickkontakt, bevor sie sich im unendlichen Grau verliert. Kurz zögert sie, doch als er sie sanft näher zieht, gibt sie nach und lehnt den Kopf gegen seine Schulter. Der Stoff seines Hemdes duftet frisch mit einer leichten Note von Schweiß. Seine Hand legt sich zwischen ihre Schulterblätter und hält sie. Warm, sicher. Sie spürt den urtümlichen Rhythmus seines Atems. Tröstlich. Ihre Abwehr ist verschwunden, sie bewegen sich wie ein Geschöpf, geschaffen aus Tanz, Musik und zwei Seelen, die sich zufällig begegnet sind an diesem glutheißen Nachmittag, in dieser Bar. Völlig synchron bewegen sie sich, instinktiv. Er neigt seinen Kopf, berührt mit den Lippen sanft ihr Haar.
Detrás de los muros eres una maravilla“, flüstert er in ihr Ohr. Dann entlässt er sie aus seinen Armen, streicht ihr nochmal andächtig über die Wange und lässt die Hand dann sinken. Mit einem letzten wehmütigen Blick aus den grauen Augen dreht er sich um und tritt hinaus in die nachmittägliche Hitze.
Detrás de los muros eres una maravilla, hinter den Mauern bist du wunderschön.


- Final -

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