Sonntag, 11. Februar 2018

Die Rückkehr - Heimatmeer III



Du bist zurück...

Die Rückkehr – Heimatmeer III

Du bist zurück. Die Wellen deines Heimatmeers heißen dich mit ihrem uralten Lied willkommen und schließen dich in ihre gischtsprühenden Arme. Es hat lange gedauert, bis du hierher zurückgekehrt bist. Lange hing dein Herz in der warmen Ferne an einem anderen Meer, bei anderen Menschen. Doch jetzt bist du hier und atmest tief ein. Es hat dir gefehlt. All das hier hat dir gefehlt und erst jetzt realisierst du wirklich, wie sehr. Du gehst weiter auf das Wasser zu, über den leise rieselnden Sand, der noch feucht ist vom letzten Regen. Es ist Winter im hohen Norden und du vermisst die Sonne, die dir so lange vergönnt war. Hier ist der Himmel voller Wolken, die in einer Melange aus verschiedensten Grautönen ineinander verschmelzen und fast wie ein Spiegelbild des Meeres wirken, das aufgewühlt Tang und Kiesel vor deine Füße spült. Du trotzt der Kälte und ziehst deine Schuhe aus, auch wenn es eigentlich viel zu kalt dafür ist. Doch du brauchst Bodenhaftung, Wahrhaftigkeit und den unmittelbaren physischen Beweis, tatsächlich hier zu sein. Der grobe Sand an der Gezeitenlinie fühlt sich vertraut an und du schnappst überrascht nach Luft, als eine vorwitzige Welle dir über die Füße schwappt und eine atemlose, beißende Kälte hinterlässt. Doch du lässt dich nicht stören, gehst weiter und schlenderst ohne Eile an deinem Heimatmeer entlang. Mittlerweile ist es jedoch nicht mehr das einzige Meer, nach dem du dich sehnst. Hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Teilen des Kontinents, zwischen verschiedenen Menschen und Lebensarten legst du den Kopf in den Nacken und lässt dir diese typische Mischung aus salziger Gischt und metallen schmeckendem Nieselregen ins Gesicht tröpfeln, die für dich untrennbar mit diesem Land verbunden ist. Doch ist dies wirklich deine einzig wahre Heimat? Deine Gedanken wandern zurück in den warmen Süden, zu den Stränden, die dort nach dem tiefen, salzig-algigen Atem des Ozeans duften. Es ist anders, wieder hier zu sein und doch ist es, als wärest du nie weg gewesen. Deine Freunde und deine Familie sind hier und obwohl alles während deiner Abwesenheit seinen gewohnten Gang gegangen ist, scheint sich nichts verändert zu haben. Doch deine Gedanken sind bei denen, die du zurücklassen musstest. Bei den Menschen, die Freunde und auch ein bisschen Familie für dich geworden sind. Der Gedanke schmerzt, als wären kleine Splitter deines Herzens bei ihnen unter der Sonne des Südens geblieben. Nun berührt das Meer dein wundes Herz und das Salzwasser brennt in den winzigen Rissen. Du hast wahrlich versucht, dein Leben hier und den Neuanfang dort zusammenzubringen. Du hast versucht, eine Distanz über den halben Kontinent zum Schmelzen zu bringen, einfach mit puren Willen und der Zuversicht, aus zwei Leben an zwei Orten eines werden zu lassen. Doch die Macht der Entfernung hat dich eines Besseren belehrt und dir schmerzlich vor Augen geführt, dass sie in der Lage ist, etwas enden zu lassen, obwohl es noch nicht enden musste. Dein Wille und deine Entschlossenheit hat nicht ausgereicht und diese Erkenntnis tut weh, sehr weh. Es hatte sich alles so perfekt angefühlt unter der Sonne Südeuropas.
So leicht, so selbstverständlich. Doch als du in deine kühle Heimat zurückgekehrt bist, bekam diese perfekte Blase des Glücks erste Risse, die du verzweifelt versuchtest zu kitten, und platzte schließlich, zerrissen von zu vielen Kilometern. Du schreist die Wellen an in der Hoffnung, sie mögen dir antworten oder zumindest zurück schreien, einfach irgendetwas tun. Aber alles was du hörst ist das monotone Rauschen des Wassers an den Strand. Frustriert lässt du dich in Kuhle hinter einer Düne fallen, die vom ewigen Nieselregen weitestgehend verschont geblieben ist. Du legst die Arme auf den Knien ab und bettest den Kopf darauf. Der Wind fährt dir durch die Haare und lässt dich frösteln. Langsam kriecht dir die Kälte in den Körper, doch du willst nur hier sitzen und einfach nichts tun. Gedankenverloren graben deine Finger sich durch den kühlen Sand neben dir. Du findest eine matt geschliffene grüne Glasscherbe darin und drehst sie müßig in deiner Hand. Du hast keine Angst, dich daran zu schneiden, die Kanten sind von Sand und Wasser geschliffen. Nachdenklich wiegst du dieses Überbleibsel eines überschwänglichen Strandtages in der Hand und starrst gedankenverloren in die Ferne und erinnerst dich. An ausgelassene Tage an diesem Strand mit Freunden, an denen statt des kalten Ost eine warme Brise über den Strand weht und niemand friert. An denen es nach Sonnenmilch auf warmer Haut und nach Pommes frites und Wassereis duftet. Du denkst an kühles Bier, das nach einem heißen Tag noch einmal besser schmeckt, an den Geruch von warmem Sand und glühender Holzkohle. Und plötzlich siehst du einen kleinen Lichtstreif am Horizont. Es wird Sommer werden. Es wird warm sein und freundlich. Na gut, vielleicht nicht immer freundlich, aber der Sommerregen wird den Asphalt dampfen lassen und beruhigend auf das Wasser im Hafen prasseln. Die Sommerabende werden nach Seeluft und frisch gemähtem Gras riechen, nach Fisch und Tang und nach dem Gefühl, dass im Sommer alles heller wird. Beim Gedanken daran wird dein Herz leichter und du verstaust die Glasscherbe sorgsam in deiner Hosentasche. Du wirst sie in Ehren halten und wann immer die Schwermut dich anspringt wie heute wirst du sie in die Hände nehmen, die glatt geschliffenen Kanten berühren und dich erinnern, dass das Meer jeden Schmerz zu lindern vermag. Das Salz heilt Wunden, der Sand schleift an den Splittern in den Herzen, bis sie sich in lauter feine Körnchen auflösen und nur noch die Ahnung eines Ziepens daran erinnert, dass sie einst da waren. Du begreifst, dass die Perfektion, die du dir gewünscht hast, eine Wunschvorstellung war, die bei der Berührung mit der Realität zerplatzt ist wie eine fragile Seifenblase. Du spürst noch immer die scharfen Kanten, die der Schmerz hinterlassen hat. Doch du ahnst instinktiv, dass auch diese Kanten an Schärfe verlieren wären, wenn du sie dem Meer überlässt. Tief durchatmend rappelst du dich auf, schlenderst zurück zum Wasser, und lässt dir die Wellen um die Füße tanzen. Dass es kalt ist, zählt in diesem Moment nicht. Denn du bist zurückgekehrt. Weil alles fließt.
Cuncta fluunt.

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