Du
bist zurück...
Du
bist zurück. Die Wellen deines Heimatmeers heißen dich mit ihrem
uralten Lied willkommen und schließen dich in ihre gischtsprühenden
Arme. Es hat lange gedauert, bis du hierher zurückgekehrt bist.
Lange hing dein Herz in der warmen Ferne an einem anderen Meer, bei
anderen Menschen. Doch jetzt bist du hier und atmest tief ein. Es hat
dir gefehlt. All das hier hat dir gefehlt und erst jetzt realisierst
du wirklich, wie sehr. Du gehst weiter auf das Wasser zu, über den
leise rieselnden Sand, der noch feucht ist vom letzten Regen. Es ist
Winter im hohen Norden und du vermisst die Sonne, die dir so lange
vergönnt war. Hier ist der Himmel voller Wolken, die in einer
Melange aus verschiedensten Grautönen ineinander verschmelzen und
fast wie ein Spiegelbild des Meeres wirken, das aufgewühlt Tang und
Kiesel vor deine Füße spült. Du trotzt der Kälte und ziehst deine
Schuhe aus, auch wenn es eigentlich viel zu kalt dafür ist. Doch du
brauchst Bodenhaftung, Wahrhaftigkeit und den unmittelbaren
physischen Beweis, tatsächlich hier zu sein. Der grobe Sand an der
Gezeitenlinie fühlt sich vertraut an und du schnappst überrascht
nach Luft, als eine vorwitzige Welle dir über die Füße schwappt
und eine atemlose, beißende Kälte hinterlässt. Doch du lässt dich
nicht stören, gehst weiter und schlenderst ohne Eile an deinem
Heimatmeer entlang. Mittlerweile ist es jedoch nicht mehr das einzige
Meer, nach dem du dich sehnst. Hin- und hergerissen zwischen
verschiedenen Teilen des Kontinents, zwischen verschiedenen Menschen
und Lebensarten legst du den Kopf in den Nacken und lässt dir diese
typische Mischung aus salziger Gischt und metallen schmeckendem
Nieselregen ins Gesicht tröpfeln, die für dich untrennbar mit
diesem Land verbunden ist. Doch ist dies wirklich deine einzig wahre
Heimat? Deine Gedanken wandern zurück in den warmen Süden, zu den
Stränden, die dort nach dem tiefen, salzig-algigen Atem des Ozeans
duften. Es ist anders, wieder hier zu sein und doch ist es, als
wärest du nie weg gewesen. Deine Freunde und deine Familie sind hier
und obwohl alles während deiner Abwesenheit seinen gewohnten Gang
gegangen ist, scheint sich nichts verändert zu haben. Doch deine
Gedanken sind bei denen, die du zurücklassen musstest. Bei den
Menschen, die Freunde und auch ein bisschen Familie für dich
geworden sind. Der Gedanke schmerzt, als wären kleine Splitter
deines Herzens bei ihnen unter der Sonne des Südens geblieben. Nun
berührt das Meer dein wundes Herz und das Salzwasser brennt in den
winzigen Rissen. Du hast wahrlich versucht, dein Leben hier und den
Neuanfang dort zusammenzubringen. Du hast versucht, eine Distanz über
den halben Kontinent zum Schmelzen zu bringen, einfach mit puren
Willen und der Zuversicht, aus zwei Leben an zwei Orten eines werden
zu lassen. Doch die Macht der Entfernung hat dich eines Besseren
belehrt und dir schmerzlich vor Augen geführt, dass sie in der Lage
ist, etwas enden zu lassen, obwohl es noch nicht enden musste. Dein
Wille und deine Entschlossenheit hat nicht ausgereicht und diese
Erkenntnis tut weh, sehr weh. Es hatte sich alles so perfekt
angefühlt unter der Sonne Südeuropas.
So
leicht, so selbstverständlich. Doch als du in deine kühle Heimat
zurückgekehrt bist, bekam diese perfekte Blase des Glücks erste
Risse, die du verzweifelt versuchtest zu kitten, und platzte
schließlich, zerrissen von zu vielen Kilometern. Du schreist die
Wellen an in der Hoffnung, sie mögen dir antworten oder zumindest
zurück schreien, einfach irgendetwas tun. Aber alles was du hörst
ist das monotone Rauschen des Wassers an den Strand. Frustriert lässt
du dich in Kuhle hinter einer Düne fallen, die vom ewigen
Nieselregen weitestgehend verschont geblieben ist. Du legst die Arme
auf den Knien ab und bettest den Kopf darauf. Der Wind fährt dir
durch die Haare und lässt dich frösteln. Langsam kriecht dir die
Kälte in den Körper, doch du willst nur hier sitzen und einfach
nichts tun. Gedankenverloren graben deine Finger sich durch den
kühlen Sand neben dir. Du findest eine matt geschliffene grüne
Glasscherbe darin und drehst sie müßig in deiner Hand. Du hast
keine Angst, dich daran zu schneiden, die Kanten sind von Sand und
Wasser geschliffen. Nachdenklich wiegst du dieses Überbleibsel eines
überschwänglichen Strandtages in der Hand und starrst
gedankenverloren in die Ferne und erinnerst dich. An ausgelassene
Tage an diesem Strand mit Freunden, an denen statt des kalten Ost
eine warme Brise über den Strand weht und niemand friert. An denen
es nach Sonnenmilch auf warmer Haut und nach Pommes frites und
Wassereis duftet. Du denkst an kühles Bier, das nach einem heißen
Tag noch einmal besser schmeckt, an den Geruch von warmem Sand und
glühender Holzkohle. Und plötzlich siehst du einen kleinen
Lichtstreif am Horizont. Es wird Sommer werden. Es wird warm sein und
freundlich. Na gut, vielleicht nicht immer freundlich, aber der
Sommerregen wird den Asphalt dampfen lassen und beruhigend auf das
Wasser im Hafen prasseln. Die Sommerabende werden nach Seeluft und
frisch gemähtem Gras riechen, nach Fisch und Tang und nach dem
Gefühl, dass im Sommer alles heller wird. Beim Gedanken daran wird
dein Herz leichter und du verstaust die Glasscherbe sorgsam in deiner
Hosentasche. Du wirst sie in Ehren halten und wann immer die
Schwermut dich anspringt wie heute wirst du sie in die Hände nehmen,
die glatt geschliffenen Kanten berühren und dich erinnern, dass das
Meer jeden Schmerz zu lindern vermag. Das Salz heilt Wunden, der Sand
schleift an den Splittern in den Herzen, bis sie sich in lauter feine
Körnchen auflösen und nur noch die Ahnung eines Ziepens daran
erinnert, dass sie einst da waren. Du begreifst, dass die Perfektion,
die du dir gewünscht hast, eine Wunschvorstellung war, die bei der
Berührung mit der Realität zerplatzt ist wie eine fragile
Seifenblase. Du spürst noch immer die scharfen Kanten, die der
Schmerz hinterlassen hat. Doch du ahnst instinktiv, dass auch diese
Kanten an Schärfe verlieren wären, wenn du sie dem Meer überlässt.
Tief durchatmend rappelst du dich auf, schlenderst zurück zum
Wasser, und lässt dir die Wellen um die Füße tanzen. Dass es kalt
ist, zählt in diesem Moment nicht. Denn du bist zurückgekehrt. Weil
alles fließt.
Cuncta
fluunt.
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