Samstag, 14. Oktober 2017

Der Tag, an dem ich anfing Luftschlösser zu bauen

Hallo ihr Lieben,
es gibt etwas Neues zu lesen!
Diesmal ein Auftragstext für die 2. Flensburger Fckup N8, die ich am 12. Oktober poetisch einrahmen durfte. Ich habe zunächst ein bisschen über den Sportunterricht in der Grundschule erzählt und die Veranstaltung schließlich mit einem Text über meinen Werdegang als Geschichtenerzählerin beschlossen :)





Der Tag, an dem ich anfing Luftschlösser zu bauen



Vermutlich war es ein regenerischer Tag, an dem ich anfing, Luftschlösser aus
Worten und Lauten zu bauen. Vermutlich passierte es schon, bevor ich wirklich
sprechen konnte. Ich probierte mich aus, verleimte Laute und erste
Wortbruchstücke mit einem Kleinkindgrinsen und ließ meine Eltern rätseln, was
wohl in meinem Wuschelkopf mit den blonden Haaren vorging.
Und unbemerkt von allen schwebte die erste kleine Luftschlosssandburg über
meinem Kinderbett mit dem flauschigen Lammfell. Kurz nur, bis sie in den
Wogen der Zeit wieder zerrann. Aller Anfang ist schwer.
Ich wurde größer und lernte sprechen. Seitdem mussten meine Kuscheltiere nie
mehr in einem profanen Bett schlafen. Ich flog mit ihnen wie Pippi Langstrumpf
an einem Heißluftballon in die Südsee, machte Ausflüge mit Jim Knopf und
Lukas und Emma, der Lokomotive und besuchte die Drachenstadt. Mein
Lieblingsteddy immer an meiner Seite als mein unbesiegbarer Beschützer. Ich
baute fluffige Schlösser aus Gedankenzuckerwatte und baute alles ein, was ich
den Tag über gesammelt hatte. Den Geruch des nahen Waldes, die Kühe auf
den Weiden, die Figuren meiner Lieblingsbücher, den Geruch von frisch
gemähtem Gras, von modrigem Herbstlaub, den Duft nach Schnee, nach
Weihnachtsplätzchen und nach nasser Erde im Frühling. Als Mörtel dienten mir
die Vorfreude auf Weihnachten, die Spannung, wenn die ersten Schneeflocken
zu Boden segeln, die Stimmen meiner Eltern beim allabendlichen Vorlesen.
Nachts musste ich keine Angst vor der Dunkelheit haben, denn in meiner
stabilen Trutzburg war ich sicher vor den Monstern unter meinem Bett und
allem, was nachts sonst noch in einem Kinderzimmer kreucht und fleucht.
Irgendwann lernte ich schreiben und plötzlich konnte ich meine Schlösser aus
Stein bauen, der der Zeit standhält und nicht langsam weggewaschen wird von
neuen Erinnerungen.Meine Mutter brachte mir das Schreiben bei, als ich noch im Kindergarten war.
Denn ich wollte endlich aufschreiben, was mir tagtäglich im Kopf herumspukte.
Und das tat ich. Ich schrieb und schrieb und schrieb. Seite für Seite, Abenteuer
um Abenteuer. Während andere Kinder dreckige Kleider und aufgeschürfte Knie
mit nach Hause brachten, kam ich mit ganzen Büchern heim, die ich mit
Bindfäden zusammengebunden hatte. Viele Protagonisten gab es nicht, da ich
noch nicht so viele Wörter kannte. Aber für das Wichtigeste reichte es.
In der Grundschule sog ich jedes Wort auf, das ich noch nicht kannte, das
Baustofflager füllte sich und die Schlösser wuchsen höher in den
Gedankenhimmel als je zuvor. Ich stürzte mich mit Feuereifer auf jede kreative
Schreibaufgabe und brauchte regelmäßig Extrazeit für Aufsätze, die mir
kopfschüttelnd gewährt wurde.
Und die Schule schenkte mir weitere Traumwelten: Ich konnte endlich selbst
lesen und erst dann aufhören, wenn mir die Augen zufielen und musste nicht
gespannt bis zum nächsten Abend warten, damit meine Eltern weiter vorlasen.
Ich wurde zum wahren Bücherwurm und futterte mich durch alles, was ich in die
Finger bekam. Ich ritt mit Winnetou und Old Shatterhand durch die Prärie, flog
mit Harry Potter auf dem Besen und löste knifflige Fälle mit den Drei ???.
Wenn mir das Ende nicht gefiel, schrieb ich es einfach neu und legte die Zettel
mit der ungelenken Kinderschrift auf die sorgsam gebundenen Hefte mit meinen
ersten Gehversuchen. Manchmal ließ ich auch Personen aus ihren Büchern in
meine Geschichten springen und richtete ihnen gemütliche Zimmer in meinem
ganz persönlichen Luftschloss ein. Alles, was ich füchtete, wurde im Kerker
eingesperrt oder in den höchsten Turm verbannt.
Viele Jahre und aufgebaute und wieder zusammengefallene Schlösser später
reichte es mir nicht mehr, allein in meinem Luftschloss zu wohnen und ich wagte
es, mich damit auf einen Bühne zu stellen.Der erste Auftritt war das aufregendeste, was ich je erlebt habe. Meine Hände
schwitzen so sehr, dass ich kaum die Blätter halten konnte und meine Stimme
zitterte, weil ich das Amten vergaß. Das, was ich damals vor den Zuschauern
aufbaute, glich wieder einmal der ungelenk aufgeschüttenen Sandburg. Meine
Nervosität hatte meine Stimme und die Wände des Schlosses nicht tragen
lassen. Doch gleich einem gestürzten Reiter versuchte ich es weiter. Und mit
jedem Auftritt wurde es besser. Wurde ich sicherer und meine Fundamente
belastbar.
Und mittlerweile ist es ein Teil meines Berufes, innerhalb kürzester Zeit
Luftschlösser für das Publikum zu bauen und jedem, der Lust hat, darin zu
wohnen, ein Zimmer herzurichten. Die Träumerei ist zum Beruf geworden und
obwohl ich noch keine Architekturpreise für meine Schlösser gewonnen habe,
bin ich sehr froh, dass es nach meinem ersten Auftritt einen zweiten gegeben
hat und ich hoffe, dass ich noch vielen Menschen Zuflucht in meiner
selbstgebauten Trutzburg anbieten kann, sei es auch nur für kurze sechs
Minuten.
Denn das ist das, was ich schon mein ganzes Leben lang tue und was ich tun
werde, solange ich dazu in der Lage bin.

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