Moin moin und ein frohes neues Jahr aus dem verregneten hohen Norden!
Nachdem ich langsam wieder aus dem Feiertagskoma erwacht bin, halte ich gleich mal meine guten Neujahrsvorsätze ein und melde mich mal wieder mit einem Text zu Wort. Er wird dem aufmerksamen Leser nicht neu sein, allerdings veröffentliche ich das "Heimatmeer" heute erstmals auf Hochdeutsch, damit auch die des Plattdeutschen nicht mächtigen unter euch in den Genuss einer Portion Meerweh kommen können.
Frohes Lesen und ein gutes neues Jahr 2017 wünscht euch
Slamigan
Heimatmeer
Du
liegst am Strand in einer Düne, schmiegst dich in die Windstille
zwischen den harten Grashalmen. Noch vorhin hast du unten an der
Gezeitenlinie des Meeres gestanden, staunend vor der urtümlichen
Kraft der Wellen, die nimmermüde in steter Gleichmäßigkeit an den
Strand branden und dich Gischt schmecken lassen.
Der
Wind ist in Spiellaune, so wie immer an der See in dieser seltsamen
Jahrezeit zwischen Sommer und Herbst. Er treibt Schabernack mit dir
und fährt dir durch die Haare. Zuverlässig kühl und salzig und
nach Tang duftend.
Du
hast Steine ins Meer geworfen und beobachtet, wie sie in den Fluten
verschwunden sind. Wind und Wogen haben dir zugesehen und dich
gefangen gehalten in ihrem alten Lied.
Du
liebst das Meer, hast es immer getan und vor allem an Tagen wie heute
spürst du es ganz besonders. Bereits als du diese Urgewalt zum
ersten Mal gesehen hast, war dein Herz in den Dünen verloren und
dort liegt es noch.
Die
Sonne ist gerade dabei, in eindrucksvollem Farbenspiel im Meer zu
versinken. Du siehst Gold, Rot, ein tiefes Orange und bald schon
samtiges Blau, dort, wo die Sonne nicht mehr hinreicht.
Fast
musst du die Augen schließen ob dieser verschwenderischen Pracht.
Doch
erst als der rote Feuerball vollends hinter den Horizont versunken
ist, wendest du den Blick ab und richtest ihn in den Himmel, wo die
ersten Sterne silbrig aufblitzen und auf dich herab schauen, als
wollten sie dich beschützen. Du lächelst in dich hinein und
verlierst dich in der Dunkelheit und dem Gefühl des kühlen Sandes
unter dir. Der Strand ist menschenleer, niemand stört dich in deinen
Gedanken.
Sie
wandern fort, an andere Strände, zu anderen Menschen, die du lieb
gewonnen hast.
Auch
wenn du in diesem Moment an keinem anderen Ort sein willst außer an
diesem, so zieht es dich doch fort in fremde Städte, zu anderen
Menschen, die du schon kennst oder erst noch kennen lernen wirst.
„Alles
fließt“, soll Heraklit einst gesagt haben. Du denkst darüber
nach und stimmst ihm aus vollem Herzen zu.
Du
bist ein anderer, seit du zum letzten Mal an diesem Ort warst, und
doch bist du derselbe. Das Meer war ein anderes, und doch ist es das
nicht.
Obwohl
es wohl der Inbegriff der Unbeständigkeit ist, hat sich eine Sache
nie geändert: Das Meer ist tröstlich. Es lässt dich gelassen
werden, indem es dir zeigt, dass du den Lauf der Gezeiten niemals
wirst ändern können. Du kannst ihm nur nachgeben und dich dem Meer
anvertrauen und darauf hoffen, dass die See es gut mit dir meint.
Und
das wird sie. Du hast ein stabiles Boot und hast die Jahre über
genügend Erfahrungen gesammelt, um die Klippen zu umschiffen, die
sich dir in den Weg stellen.
Die
Zeit wird wissen, was sie mit dir vorhat. Es wird nicht immer einfach
sein, aber ihr Lauf wird dafür sorgen, dass du nicht stehen bleibst
und niemals wieder als der gleiche Mensch an diesen Strand
zurückkehrst, der du heute, jetzt, in diesem Moment, bist.
Das
Leben wird Spuren hinterlassen, vielleicht auch Narben, aber das Meer
wird sie heilen, wie es das schon immer getan hat.
„Alles
fließt“, soll Heraklit gesagt haben. Du lächelst als du
darüber nachdenkst und auf die Geräusche lauschst, die das Meer von
sich gibt. Die Brandung hat ihr eigenes Geräusch; das Reiben des
Sandes und der Steine aneinander, das Schäumen der Gischt, das
Flüstern der auslaufenden Welle am Strand, das machtvolle Brechen
der Wellenkämme kurz vor der Gezeitenlinie.
Das
Meer fließt nicht, nicht heute. Es brandet, es schäumt, es wogt,
aber von ruhigem Fluss kann keine Rede sein. Es ist unruhig, als
erwarte es die Herbststürme mit einer Ungeduld, mit der du auf
deinen Aufbruch in die große weite Welt wartest. In dir brandet
Fernweh auf, mit mächtigen Wogen und die Gischt scheint bis zu den
Sternen zu fliegen.
Du
schließt die Lider und siehst vor deinem inneren Auge erst weites
Meer und dann Land. Verheißungsvoll und voller Möglichkeiten, die
du erst noch entdecken wirst. Du erinnerst dich an die Statue von
Christoph Columbus, die an der sonnigen Küste von Barcelona stolz
aufs Meer hinaus blickt. Du kannst nachfühlen, was er einst gedacht
haben muss.
Du
brennst darauf, alles hinter dir zu lassen und neu anzufangen,
wenigstens eine Zeit lang. Aber du weißt auch, dass deine Heimat
immer hier sein wird, im hohen Norden an der stürmischen Küste bei
den Menschen, die hier leben.
Sie
sind wortkarg, ein bisschen spröde aber immer ehrlich und
bodenständig. Wenn du zurückkommst wirst du zwar ein anderer sein,
aber für deine Familie und die Menschen hier wirst du doch derselbe
geblieben sein. Langsam schweifen deine Gedanken zurück ins Hier und
Jetzt.
Es
ist vollständig dunkel, in der Ferne kannst du in regelmäßigen
Abständen das Aufblitzen eines Leuchtfeuers erkennen. Abertausende
Sterne scheinen inzwischen vom Himmel, dazwischen ab und an ein
einsames Flugzeug, das, ferne Orte zum Ziel, einsam durch die Nacht
fliegt. Du setzt dich auf, klopfst dir den Sand von der Kleidung und
gehst langsam noch einmal herunter ans Meer. Der Wind hat sich
beruhigt und zupft nur noch sanft an deinem Haar. Die Wellen branden
ruhig und gleichmäßig an den Strand, haben ihre Wildheit verloren.
Und doch sprüht dir ab und zu Gischt ins Gesicht und trägt den
salzigen Geschmack der See auf deine Lippen.
Du
gehst in die Knie, hebst einen flachen Stein auf und wirfst ihn in
die Wellen. Es ist zu dunkel, um zu sehen, wo er ins Wasser gefallen
ist, doch das ist jetzt auch nicht wichtig. Du atmest noch einmal
tief ein und kehrst dem Meer dann den Rücken zu, gehst durch die
Dünen zurück und verspürst ein wenig Wehmut. Wenn du zurückkehrst,
wird das Meer ein anderes sein, aber es wird da sein.
Weil
alles fließt.
Cuncta
fluunt.
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