Sonntag, 1. Januar 2017

Heimatmeer endlich auf Hochdeutsch!

Moin moin und ein frohes neues Jahr aus dem verregneten hohen Norden!
Nachdem ich langsam wieder aus dem Feiertagskoma erwacht bin, halte ich gleich mal meine guten Neujahrsvorsätze ein und melde mich mal wieder mit einem Text zu Wort. Er wird dem aufmerksamen Leser nicht neu sein, allerdings veröffentliche ich das "Heimatmeer" heute erstmals auf Hochdeutsch, damit auch die des Plattdeutschen nicht mächtigen unter euch in den Genuss einer Portion Meerweh kommen können. 
Frohes Lesen und ein gutes neues Jahr 2017 wünscht euch 
Slamigan




Heimatmeer
Du liegst am Strand in einer Düne, schmiegst dich in die Windstille zwischen den harten Grashalmen. Noch vorhin hast du unten an der Gezeitenlinie des Meeres gestanden, staunend vor der urtümlichen Kraft der Wellen, die nimmermüde in steter Gleichmäßigkeit an den Strand branden und dich Gischt schmecken lassen.
Der Wind ist in Spiellaune, so wie immer an der See in dieser seltsamen Jahrezeit zwischen Sommer und Herbst. Er treibt Schabernack mit dir und fährt dir durch die Haare. Zuverlässig kühl und salzig und nach Tang duftend.
Du hast Steine ins Meer geworfen und beobachtet, wie sie in den Fluten verschwunden sind. Wind und Wogen haben dir zugesehen und dich gefangen gehalten in ihrem alten Lied.
Du liebst das Meer, hast es immer getan und vor allem an Tagen wie heute spürst du es ganz besonders. Bereits als du diese Urgewalt zum ersten Mal gesehen hast, war dein Herz in den Dünen verloren und dort liegt es noch.
Die Sonne ist gerade dabei, in eindrucksvollem Farbenspiel im Meer zu versinken. Du siehst Gold, Rot, ein tiefes Orange und bald schon samtiges Blau, dort, wo die Sonne nicht mehr hinreicht.
Fast musst du die Augen schließen ob dieser verschwenderischen Pracht.
Doch erst als der rote Feuerball vollends hinter den Horizont versunken ist, wendest du den Blick ab und richtest ihn in den Himmel, wo die ersten Sterne silbrig aufblitzen und auf dich herab schauen, als wollten sie dich beschützen. Du lächelst in dich hinein und verlierst dich in der Dunkelheit und dem Gefühl des kühlen Sandes unter dir. Der Strand ist menschenleer, niemand stört dich in deinen Gedanken.
Sie wandern fort, an andere Strände, zu anderen Menschen, die du lieb gewonnen hast.
Auch wenn du in diesem Moment an keinem anderen Ort sein willst außer an diesem, so zieht es dich doch fort in fremde Städte, zu anderen Menschen, die du schon kennst oder erst noch kennen lernen wirst.
Alles fließt“, soll Heraklit einst gesagt haben. Du denkst darüber nach und stimmst ihm aus vollem Herzen zu.

Du bist ein anderer, seit du zum letzten Mal an diesem Ort warst, und doch bist du derselbe. Das Meer war ein anderes, und doch ist es das nicht.
Obwohl es wohl der Inbegriff der Unbeständigkeit ist, hat sich eine Sache nie geändert: Das Meer ist tröstlich. Es lässt dich gelassen werden, indem es dir zeigt, dass du den Lauf der Gezeiten niemals wirst ändern können. Du kannst ihm nur nachgeben und dich dem Meer anvertrauen und darauf hoffen, dass die See es gut mit dir meint.
Und das wird sie. Du hast ein stabiles Boot und hast die Jahre über genügend Erfahrungen gesammelt, um die Klippen zu umschiffen, die sich dir in den Weg stellen.
Die Zeit wird wissen, was sie mit dir vorhat. Es wird nicht immer einfach sein, aber ihr Lauf wird dafür sorgen, dass du nicht stehen bleibst und niemals wieder als der gleiche Mensch an diesen Strand zurückkehrst, der du heute, jetzt, in diesem Moment, bist.
Das Leben wird Spuren hinterlassen, vielleicht auch Narben, aber das Meer wird sie heilen, wie es das schon immer getan hat.
Alles fließt“, soll Heraklit gesagt haben. Du lächelst als du darüber nachdenkst und auf die Geräusche lauschst, die das Meer von sich gibt. Die Brandung hat ihr eigenes Geräusch; das Reiben des Sandes und der Steine aneinander, das Schäumen der Gischt, das Flüstern der auslaufenden Welle am Strand, das machtvolle Brechen der Wellenkämme kurz vor der Gezeitenlinie.
Das Meer fließt nicht, nicht heute. Es brandet, es schäumt, es wogt, aber von ruhigem Fluss kann keine Rede sein. Es ist unruhig, als erwarte es die Herbststürme mit einer Ungeduld, mit der du auf deinen Aufbruch in die große weite Welt wartest. In dir brandet Fernweh auf, mit mächtigen Wogen und die Gischt scheint bis zu den Sternen zu fliegen.
Du schließt die Lider und siehst vor deinem inneren Auge erst weites Meer und dann Land. Verheißungsvoll und voller Möglichkeiten, die du erst noch entdecken wirst. Du erinnerst dich an die Statue von Christoph Columbus, die an der sonnigen Küste von Barcelona stolz aufs Meer hinaus blickt. Du kannst nachfühlen, was er einst gedacht haben muss.
Du brennst darauf, alles hinter dir zu lassen und neu anzufangen, wenigstens eine Zeit lang. Aber du weißt auch, dass deine Heimat immer hier sein wird, im hohen Norden an der stürmischen Küste bei den Menschen, die hier leben.
Sie sind wortkarg, ein bisschen spröde aber immer ehrlich und bodenständig. Wenn du zurückkommst wirst du zwar ein anderer sein, aber für deine Familie und die Menschen hier wirst du doch derselbe geblieben sein. Langsam schweifen deine Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.
Es ist vollständig dunkel, in der Ferne kannst du in regelmäßigen Abständen das Aufblitzen eines Leuchtfeuers erkennen. Abertausende Sterne scheinen inzwischen vom Himmel, dazwischen ab und an ein einsames Flugzeug, das, ferne Orte zum Ziel, einsam durch die Nacht fliegt. Du setzt dich auf, klopfst dir den Sand von der Kleidung und gehst langsam noch einmal herunter ans Meer. Der Wind hat sich beruhigt und zupft nur noch sanft an deinem Haar. Die Wellen branden ruhig und gleichmäßig an den Strand, haben ihre Wildheit verloren. Und doch sprüht dir ab und zu Gischt ins Gesicht und trägt den salzigen Geschmack der See auf deine Lippen.
Du gehst in die Knie, hebst einen flachen Stein auf und wirfst ihn in die Wellen. Es ist zu dunkel, um zu sehen, wo er ins Wasser gefallen ist, doch das ist jetzt auch nicht wichtig. Du atmest noch einmal tief ein und kehrst dem Meer dann den Rücken zu, gehst durch die Dünen zurück und verspürst ein wenig Wehmut. Wenn du zurückkehrst, wird das Meer ein anderes sein, aber es wird da sein.
Weil alles fließt.
Cuncta fluunt.

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