Donnerstag, 26. März 2020

Arielles Reise zum Mittelpunkt der Kopffüßer - eine Quarantänegeschichte

Hallo liebes Internet,
"dank" der momentanen Ausnahmesituation, die mir zum ersten Mal in meinem Leben Hausarrest verpasst hat, habe ich endlich wieder Zeit gefunden, diesen Blog hier wieder mit etwas mehr Leben zu füllen. Die folgende Geschichte entstand als Beitrag zum Format "Stream und Drang" von Fabian Navarro, der aus der Not eine Tugend gemacht hat und statt auf einer Bühne jetzt in diesem Internet auftritt. Wenn ihr ihn noch nicht kennt, habt ihr was verpasst!
Viel Spaß beim Lesen und bleibt gesund!


Arielles Reise zum Mittelpunkt der Kopffüßer - eine Quarantäne-Geschichte

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kanzlerin Merkel ausging, dass die ganze Nation zu Hause bliebe. Und dieses Gebot war das erste seiner Art und es geschah zu der Zeit, dass eine menschengroße Orange der mächtigste Mann der Welt war. Und jeder und jede blieb zuhause, dass sie keine Viren verteilten, ein jeder und eine jede auf seinem oder ihrem Sofa.  
So blieb auch Arielle, eine unermüdliche Erforscherin aquatischer Systeme rastlos auf ihrem rostroten Sofa sitzen, aß die eisernen WG-Reserve-Instantnudeln und starrte auf die 
unzähligen Poster an ihrer Wand. Allesamt zeigten sie Bewohner mariner Habitate und ihr 
Lieblingsposter war jenes, das einen gespenstisch leuchtenden Cephalopoden in seinem 
natürlichen Habitat zeigte: Hawaii. Und so schloss Arielle die Augen vor der rotglühenden 
Spätnachmittagssonne, die auf ihr rostrotes Sofa fiel, und träumte sich quer um den Globus. 
Und dort, in den seichten Buchten zu sternenklarer Nacht fand ihr inneres Auge schließlich 
sein Ziel: die schaurig schimmernden Mollusken, die im silbrigen Mondenschein kaum zu 
erspähen waren. Sie glitten majestätisch über den Boden, ohne dass ein einziger Schatten 
unter ihnen zu sehen war. Von ihrer Neugier getrieben sah sich Arielles inneres Auge die 
faszinierenden Tiere genauer an. Ganz aus der Nähe betrachtet (so nah, dass ihre innere 
Nase fast schon die kühle Haut der Weichtiere berührte) sah sie kleine Hohlräume, die 
Quelle des gespenstischen Leuchtens zu sein schienen. Und da ihr inneres Auge (wie das 
eines jeden guten Forschers übrigens) über ein eingebautes Mikroskop verfügte, konnte sie 
auch das Innere dieser kleinen Kavitäten aufs Genaueste untersuchen. Und endlich hatte sie sie gefunden: aquatische Glühwürmchen! Kleine Bakterien, die dieses gespenstisch blaue Leuchten aussandten. In ihrer Vorstellung hatten sie freundliche pausbäckige Gesichter und lächelten sie an, während sie bei Nacht dafür sorgten, dass die Weichtiere, in denen sie nachts Quartier bezogen, für Feind und Beute gleichermaßen unsichtbar wurden. Die Cephalopoden belohnten ihre kleinen Verbündeten reichlich mit Nahrung, die in den kleinen Höhlen für einen kurzen Moment der Strömung entrissen wurde. Gerade so lange, dass die kleinen leuchtenden Kerlchen sie aufnehmen konnten. Über Hawaii ging nun langsam die Sonne auf und schickte vorsichtige, warme Strahlen über die seichte Bucht. Eins nach dem anderen hörten die Bakterien auf zu leuchten und ließen sich von der Strömung aus ihrem Nachtlager hinaustreiben.  
Arielle meinte fast, sie leise „Auf Wiedersehen“ wispern zu hören, denn dieses Wiedersehen würde es geben. Zuverlässig jede Nacht sammelten sich Armeen dieser Kleinstlebewesen in den Höhlen, die eine Laune der Evolution in die Haut der Weichtiere gegraben hatte, damit sowohl Tier als auch Bakterium von dieser wundersamen Symbiose profitieren konnte. 
Arielle sah andächtig den kleinen Lebewesen nach, die sich nach und nach in alle Richtungen verstreuten. Sie lächelte. 
Denn es begab sich aber zu der Zeit, dass selbst gefangen auf dem Sofa in einer viel zu 
kleinen WG in einer viel zu regnerischen Stadt eine junge Forscherin nicht aufhörte zu 
träumen. Und während auf Hawaii langsam die Sonne über den Horizont stieg und die Nacht einem neuen Tag weichen ließ, kam Ariel wieder auf ihrem rostroten Sofa an und schaute nachdenklich hinein in die mittlerweile aufgegangenen Sterne. Irgendwann würde sie nach Hawaii fliegen und dieses faszinierende Schauspiel mit ihren eigenen Augen sehen und kein Virus würde sie mehr davon abhalten, da war sie sich ganz sicher. 

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