Mittwoch, 24. August 2016

Bei Sichelmond



"Ein blasser Sichelmond blickt stoisch herab auf das Meer, das sich in leichter Dünung wiegt und bringt die Wellen zum Glitzern. Nahe des Ufers steht eine schemenhafte weibliche Gestalt, bis zu den Hüften im klaren Wasser, und atmet den gleichmäßigen Puls des Meeres. Sie scheint die Bewegungen der Wellen in ihrem Blut zu spüren und nahezu mit ihnen zu verschmelzen. Ihr langes Haar fällt ihr in nassen Strähnen schwer auf die kräftigen Schultern und fast sieht es aus wie langer Tang. Sehnsüchtig blickt sie auf das Meer hinaus und atmet die feuchte salzige Luft, als wäre es ihr letzter Atemzug.
Am Strand tritt ein weiterer Schemen aus der Dunkelheit, nur erhellt vom fahlen Mondlicht und dem unsteten Flackern einer einzelnen Kerze. Die Gestalt bewegt sich zielsicher auf den Spülsaum des Meeres zu und als hätte sie seine Ankunft im Rhythmus der Wellen gespürt, dreht sie sich um und streckt dem Schatten eine Hand entgegen. Ohne zu zögern tritt er ins Wasser und ergreift sie fest. Die einsame Kerze zeichnet bizarre Schatten auf beider Gesichter. Sie sehen sich tief in die Augen, dann beginnt sie leise zu singen. Eine alte Melodie, gleichermaßen schaurig wie berührend. Sie scheint von tief unten aus dem Ozean zu kommen und fast meint er, rauschende Wellen und sprühende Gischt aus ihrer Stimme klingen zu hören. Sie halten sich an den Händen und beginnen, zu dem eigentümlichen alten Lied zu tanzen. Das flache Wasser spritzt auf und die Tropfen glitzern magisch, bevor sie wieder ins Meer fallen. Bald gesellen sich Fische dazu, die um beider Füße huschen und es scheint fast, als würden sie mit tanzen. Der Tanz wird wilder, die Melodie verändert sich. Wird drängender. Plötzlich werden die Wellen stärker und das Wasser beginnt zu schäumen. Er zieht sie an sich, ein verzweifelter, drängender Kuss, dann schiebt sich eine Wolke vor den Sichelmond und die Kerze erlischt. Die Melodie verstummt, die Wellen beenden ihr aufgebrachtes Spiel, die Wolke verschwindet. Er sieht aufs Meer. Sie ist verschwunden, die Oberfläche wieder spiegelglatt, als wäre nichts geschehen. Er hebt die Hand ungläubig an die Lippen. In der anderen hält er eine glänzende Muschel.
Auf bald."

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