Elementarteilchenphysik
oder auch: Er ist wieder da
Tief
im Westen, tief unter der Maggi-Fabrik in Bielefeld wird es Albert
Einstein in seinem Sarg zu langweilig. Mit lautem Knacken der alten
Nobelpreisträgerknochen erhebt er sich aus der Gruft und stößt auf
dem Weg nach draußen fast mit Elvis zusammen, der sich gerade eine
Dose Ravioli in der Mikrowelle warm gemacht hat. Unsere verstaubten
Helden grüßen sich mit kratziger Stimme, schließlich redet man
nicht mehr so viel, sobald man erstmal gestorben ist.
Elvis
entschuldigt sich bald, er müsse ins Bad und seine Tolle richten.
„Bielefelds Katakomben, Feuchtigkeit, die Frisur sitzt“, murmelt
Einstein vor sich hin.
Mit
einem kränklichen „Miau“ kommt schließlich Schrödingers Katze
um die Ecke geschlichen, verschwindet jedoch zwischendurch immer mal
wieder, weil sie sich immer noch nicht fürs Leben oder den Tod
entscheiden konnte.
Unser
alternder Held füttert sie mit den Resten der mittlerweile
erkalteten Ravioli und beginnt einen inneren Diskurs über das
thermodynamische Verhalten von Mirkowellenravioli. Er kommt zu dem
Schluss, dass sie ihren Zustand relativ schnell von relativ warm zu
relativ kalt geändert hat.
Einstein
beschließt, dass es Zeit sei für einen kleinen Spaziergang im
postapokalyptischen Gasgemisch. Er tritt aus dem Atombunker und
blickt in die grelle Endzeitsonne und sieht große empirische
Erhebungen inmitten der weiten elektromagnetischen Felder rund um die
Fabrik. Mit der Hand befördert er seine Augen in den geometrischen
Schattenraum und schützt sie vor den Strahlen der atomar verseuchten
Atmosphäre. Nur einen Quantensprung entfernt erscheinen die Trümmer
des Teilchenbeschleunigers, der die Welt vor einigen Zeiteinheiten in
die Apokalypse stürzte. Die Entstehung eines schwarzen Lochs konnte
noch gerade so verhindert werden, obwohl sich einige Mitarbeiter des
Projekts auf seltsame Weise dematerialisiert haben. Man vermutet eine
gewisse Katze unter den Schuldigen.
Kopfschüttelnd
setzt Einstein seinen Spaziergang in Richtung des Feldwegs fort,
immer entlang der Feldlinien. Während er sich an den Gasatomen
ergötzt, denen jeglicher Modergeruch fehlt, denkt er weiter über
die Mikrowelle nach und versucht, die Funktionsweise nur anhand von
E=mc² zu entschlüsseln, was ihn schließlich auf die Idee bringt,
dass Essen würde umso wärmer, je schwerer es wäre und je schneller
man es in der Mikrowelle rotieren ließe.
Beschwingt
von dieser Erkenntnis und zu allen Missetaten bereit, kehrt er in den
Atombunker zurück, wo Elvis inzwischen Streit mit Schrödingers
Katzer angefangen hat, weil sich diese nicht entscheiden kann, ob sie
seine Haare gelungen oder missraten findet. Der King of Rock'n Roll
versucht, sie mit der leeren Raviolidose zu bewerfen, doch da ist die
Katze plötzlich verschwunden und materialisiert sich in der
Mikrowelle. Einstein, immer noch berauscht von seiner Erkenntnis zur
Masse-Energie-Relation, wundert sich kurz über die
Offensichtlichkeit der Ortskomponente in der Schrödingergleichung,
sieht dann aber in der Katze ein passables Versuchsobjekt, schließt
die Mikrowelle und schaltet sie ein. Bevor Elvis einschreiten kann,
ist es schon geschehen: Der Katze ist das Experiment denkbar schlecht
bekommen und Elvis fragt, den Physiker, ob er nicht lange genug in
den USA gelebt habe, um zu wissen, dass man Katzen nicht in
Mikrowellen trocknen darf.
„Ich
wollte sie aber nicht trocknen“, widerspricht Einstein, „Nur
erwärmen...“
Elvis
schüttelt den Kopf und meint nur trocken: „Dann bring du jetzt
aber bitte dem Schrödinger bei, dass die Katze endlich tot ist und
er seine Theorie in die Tonne treten kann.“
Einstein
ist ratlos, stimmt jedoch zu.
„Und
dabei hatte die Katze noch nicht einmal annähernd
Lichtgeschwindigkeit...“, brummt er ratlos in seinen Bart und
kratzt sich am Kinn.
Nachdem
ihm dieses erste Experiment nach der langen Schaffenspause so denkbar
missglückt ist, teleportiert er sich kurzerhand dorthin, wo er mit
den Grundzügen des Themas vertraut ist: Dem Teilchenbeschleuniger,
beziehungsweise dem, was noch davon übrig ist. Innerhalb der
nächsten zwei Stunden hat Albert sowohl den 27 km langen
Beschleuniger repariert, als auch das Prinzip vollständig
durchdrungen, die Protonenstrahlen wieder in Gang gebracht, nebenbei
bemerkt das erste Positive an diesem ersten Arbeitstag nach dem Tod,
und wartet nun gespannt auf das erste Zusammentreffen der
Teilchenstrahlen. Da taucht plötzlich Higgs neben ihm auf und sieht
ihn erstaunt an.
„Sag
Albert, wo hast du bloß diese vortreffliche Anti-Aging Creme her?“
Unser
alternder Held stutzt kurz und erklärt dann ganz ernsthaft, er habe
seine Haut mit Masken aus Seitenbacher Müsli so vital gehalten. Sein
Gegenüber kann mit Seitenbacher nicht anfangen, so konzentriert man
sich wieder auf das Geschehen. Higgs berichtet Einstein von seiner
Theorie des Higgs-Feldes und des Higgs-Bosons.
„Man
nennt es auch das Gottesteilchen“, erklärt Higgs mit einer
gewissen Arroganz.
Weit
oben im Endzeithimmel räuspert sich Morgan Freeman vernehmlich,
welch Blasphemie, also wirklich!
Doch
Higgs und Einstein sind zu beschäftigt mit der Frage, ob man die
Äther Theorie von Einstein mit der des Higgs-Feldes vergleichen
könne und überhören das göttliche Grollen.
Während
der Diskussion haben beide Physiker natürlich vergessen, auf das
Geschehen im Collider zu achten, was ihnen nun zum Verhängnis wird,
als sich ein schwarzes Loch zu bilden beginnt. Kurz bevor es alles in
seine Gravitation gezogen hat, fällt Einsteins Blick auf den
Bildschirm und er erkennt, dass sie es geschafft haben, das zweite
Gottesteilchen in der Geschichte zu erzeugen. Er will es Higgs
zurufen, doch der ist bereits dem schwarzen Loch zum Opfer gefallen,
da er den Fehler gemacht hatte, sich an der spontan wieder
aufgetauchten Katze festhalten zu wollen.
Morgan
Freemans Stimme klingt von fern und verkündet, er dulde keine
anderen Gottesteilchen neben sich.
Einstein
verschwindet vorerst im schwarzen Loch, taucht dann aber im Bunker
wieder auf und versucht, seine Haare zu bändigen.
Elvis
und die Katze sitzen vor der Mikrowelle, essen Ravioli und von fern
hört man Morgan Freeman lautstark „Don't stop Believing“
schmettern.
Verstört
murmelt Einstein: „Bielefeld, Postapokalypse die Zweite, und die
Frisur sitzt.“
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