„Meine
Damen, meine Herren, danke, dass Sie mit uns reisen. Zu abgefahrenen
Preisen, auf abgefahrenen Gleisen. Für Ihre Leidensfähigkeit danken
wir spontan: Sänk juu for träwelling wis Deutsche Bahn.“ (Wise
Guys)
Tarp, 5:15 Uhr
„Gnarfgrrmmhhhuaaaaaaul“,
gähne ich und ernte nur einen skeptischen Seitenblick der Person
neben mir, der ebenfalls die Augen zuzufallen drohen.
Ich ernte ein unbestimmtes
„Hmm“ und einen erleichterten Seufzer, als pünktlich fünf
Minuten zu spät der Regionalexpress nach Hamburg einfährt, dessen
kreischende Bremsen noch das letzte bisschen Enthusiasmus ob der
bevorstehenden Fahrt zuverlässig vernichten.
Die erste Frage, die jemand
stellt lautet da so frohlockend: „Und warum tun wir uns das gleich
nochmal an?!“
Ich antworte mit einem
unbestimmten „Grmmpf“ und setzte mich hin.
Hamburg Harburg, 8:20 Uhr
„Ey, ich hab meinen Joint
verloren, habt ihr den gesehen?“, dringt eine penetrant
bekifft-besoffene-was-auch-immer-Stimme an mein Ohr.
Der Typ sieht aus wie Oskar
aus der Mülltonne und zeigt uns stolz sein HVV-Jahresticket. Wir
beneiden ihn ein bisschen und finden dann, dass so etwas
Verschwendung sei. Seinen Joint haben wir natürlich auch nicht
gefunden, wünschen uns aber bald, es wäre so gewesen.
Oskar aus der Mülltonne hat
nämlich die Frisur eines Mitreisenden entdeckt, deren Durchmesser er
nun unbedingt genau wissen will. Er fummelt einen Mini-Zollstock von
seinem Schlüsselbund, reicht ihn uns und bittet uns, nachzumessen.
Als er das Ergebnis von immerhin 38,5 cm erfährt, wünschen wir uns,
wir hätten es ihm nicht gesagt, denn Oskar kennt seit fünf Minuten
kein anderes Gesprächsthema mehr.
Bis er auf die Idee kommt,
alle im Zug befindlichen Fahrräder am nächsten Bahnhof nach draußen
zu stellen und abzuwarten, was passiert. Als wir uns standhaft
weigern, bei dem Schwachsinn mitzumachen, will Oskar sich prügeln.
Mit uns. Wir aber nicht mit ihm.
So steigt er, nachdem er sich
noch ein letztes Mal nach seinem Joint erkundigt hat, an der nächsten
Station aus und grölt noch laut: „Alle Schwarzfahrer zu mihiir!“
Wir atmen erleichtert aus und
haben endlich wieder unsere Ruhe. Bis Clemens einsteigt.
Irgendwo zwischen Uelzen
und Hannover, 9:30 Uhr
Clemens ist circa vier Jahre
alt, hat überbesorgte Eltern, Verwandte, die man am schnellsten mit
dem Zug erreicht, eine sehr nervige Kleinkindstimme und ist
überdurchschnittlich neugierig.
Dass Clemens an der nächsten
Station einsteigt, wissen wir dank der Menschen, die ihn bereits im
Zug erwarten, schon zehn Minuten vorher.
Die scheinbar beste Freundin
von Clemens erkundigt sich alle drei Mikrosekunden nach ihm und ihre
Frage wird von ihrem Vater mit einem stets geduldigen „Clemens
kommt gleich“ beantwortet. Wir malen uns derweil aus, was an
Clemens so besonders ist und kommen zu dem Schluss, dass er eine
abgefahrene Mischung aus Prinzessin Lilifee, dem Sandmännchen, allen
Figuren der Sesamstraße (außer Oskar) und dem Terminator sein muss.
Ergo sind wir sehr enttäuscht,
als wir am nächsten Bahnhof eine piepsige Kleinkindstimme hören,
die sich von ihren Eltern verabschiedet. Dank der lauten Stimme von
Clemens' Mutter wissen wir jetzt, dass Clemens nur drei Stationen
fährt und seine Oma besucht. Dann ruft sie laut „Tschüss“,
Clemens sagt „Tschüss“, wir sagen „Tschüss Clemens' Mutter“.
Die nächsten drei Stationen
wird der ganze Zug aus sicherer Quelle mit Informationen zur
Sesamstraße, dem Sandmännchen, Prinzessin Lilifee und Clemens' Oma
versorgt. Wir vermissen den Terminator und bekommen Hunger, weil
Clemens dem ganzen Abteil demonstriert, wie lecker Kekse sind, uns
aber keine abgibt. Der Vater von Clemens bester Freundin bleibt
weiterhin ruhig, wir haben ihn inzwischen in Verdacht, Oskars Joint
geklaut zu haben.
Nachdem der Clemens-Clan
endlich den Zug verlassen hat, atmen wir kollektiv durch, was ein
bisschen so klingt wie der abfahrende Hogwarts-Express und
beschließen, dass es sich jetzt auch nicht mehr lohnt, die letzten
zwei Stationen bis Hannover zu schlafen.
Hannover, 10:15 Uhr
Essen!!!!
Hannover 10:30 Uhr-17:45
Uhr
nebensächlicher
Shoppingaufenthalt
Bahnhof Hannover, 17:50 Uhr
Wir stehen am Bahnhof und
warten auf unseren Zug, der den beunruhigenden und irgendwie
anrüchigen Namen „Erixx der Heidesprinter“ trägt. Wie wir
später herausfinden, stehen die beiden „x“ für „extreme
Verspätung“, denn wir geraten in ein sogar für norddeutsche
Verhältnisse schlimmes Unwetter, der Blitz legt die Stromversorgung
lahm und wir verpassen drei Anschlusszüge an zwei Bahnhöfen.
Bahnhof Buchholz in der
Nordheide, 19:50 Uhr – 20:35 Uhr
Wir warten im strömenden
Regen auf den nächsten Metronom und überlegen kurzzeitig, nach
Hause zu laufen, würde schneller gehen. Ich esse derweil Ritter
Sport mit ganzen Mandeln.
21:00 Uhr
Hamburg Willhelmsburg bei
Nacht, mehr nicht.
Regionalbahn nach Kiel,
22:00 Uhr
„Ey, Dennis, komm jetzt, wir
müssen nach Tarp!“, erschallt eine sehr betrunkene Stimme eines
sehr betrunkenen jungen Mannes, der den noch betrunkeneren Dennis
hinter sich her schleift und in den Zug zerrt. Wir sitzen inzwischen
nur noch lethargisch da und starren vor uns hin. In jedem unserer
Gesichter ist in großen Neonreklamebuchstaben ein deutliches
„Scheiße“ zu lesen.
Neben uns sitzen einige
Rucksacktorusristen, denen genauso wenig nach Reden zumute ist wie
uns. Daher sitzen wir alle bräsig im Abteil, starren vor uns hin und
hoffen, es möge bald vorbei sein. Dennis und sein Freund kommen
heruntergetorkelt und wollen wissen, wie sie nach Tarp kommen. Wir
sagen, dass wir es nicht wissen. Nachdem Dennis Freund vergeblich
versucht hat, uns die Verantwortung für seinen hochachtungsvollen
Freund zuzuschieben, zerrt er ihn wieder nach oben mit den Worten:
„Ey, Dennis, der obere Teil des Zugs fährt nach Tarp!“
Kiel Hauptbahnhof, 00:20
Uhr
Sprinten zum Bus, landen
inmitten betrunkener THW-Kiel Fans, unterhalten uns aber gut.
Rendsburg, 1:30 Uhr
Müssen eine halbe Stunde auf
den Zug nach Tarp warten, werden von einem Mitglied der MLPD
angesprochen, unterhalten uns prima, bis er mit uns eine Partei
gründen will.
Erklären ihm, dass man für
eine Partei sieben Leute braucht, wir aber nur fünf sind.
Er versteht es nicht.
Rendsburg, 2:10 Uhr
Einfahrt des Zuges nach Tarp.
Steigen ein und versuchen, den Kommunisten loszuwerden. Klappt nicht.
Kurz bevor der Zug abfährt
hören wir noch ein: „Ey, Dennis, jetzt komm, wir müssen nach
Tarp!“
Zug nach Tarp, 2:20 Uhr
Dennis hat inzwischen ins
Zugklo gekotzt, sich ausgezogen und seine Freunde in den Wahnsinn
getrieben und der Kommunist spricht in klassischem
Weltverschwörungston über Fracking und die USA. Wir haben uns an
die Hintergrundbeschallung gewöhnt und starren wieder lethargisch
vor uns auf den Boden.
Bahnhof Tarp, 2:45 Uhr
Steigen aus dem Zug aus und
schlafen fast auf dem Bahnsteig ein.
Wanken zum parkenden Auto,
setzten uns hinein und hören im Wegfahren noch ein lallendes: „Ey,
Dennis, du hast dein T-Shirt vergessen.“
Beschließen in dieser Nacht,
nie wieder Bahn zu fahren.
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